Wie kann die Jugendhilfe trotz Datenschutz-Bedenken Social Media nutzen?
Ob WhatsApp, Instagram, Discord, twitch oder ZOOM – für Jugendliche (und auch immer mehr Kinder) gehören diese und andere Tools zum digitalen Alltag. Viele Einrichtungen der Jugendhilfe stehen deshalb vor der Frage, ob sie ihre Angebote entsprechend digital ausweiten sollten. Sie wollen nah an der Lebenswelt ihrer Zielgruppe sein und gerade in Krisenzeiten das Signal an Kinder und Jugendliche aussenden, dass die Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe erreichbar und „für sie da“ sind. Gleichzeitig gibt es bei der Nutzung von kommerziellen Tools Sorgen in Sachen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte.
Bei allen berechtigten Bedenken sollte immer im Blick behalten werden, dass viele Kinder und Jugendliche die Tools ansonsten auch ohne pädagogische Begleitung nutzen. Viele Eltern können oder wollen ihre Kinder bei der Mediennutzung nicht unterstützen.
Einrichtungen der Jugendhilfe können diese Lücke füllen, auf wichtige Problematiken bei der Nutzung von Social Media hinweisen (Datenschutz, Mobbing, Grooming etc.) und Kinder und Jugendliche aufklären und begleiten.
§ 11 Abs. 1 SGB VIII –
Auch ein Mandat für DIGITALE Jugendarbeit
»Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.«
§ 11 Abs. 1 SGB VIII formuliert damit für Fachkräfte eindeutig den Auftrag, an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen orientiert zu arbeiten bzw. sie auch auf ihren Kanälen zu erreichen und zu unterstützen.
Die Entscheidung, ob Träger*innen ein bestimmtes digitales Tool im Arbeitsalltag nutzen wollen, kann nur individuell erfolgen. Der pädagogische Auftrag und die strukturellen Rahmenbedingungen sind bei den Träger*innen sehr verschieden. Jedes digitale Tool ist einzeln zu bewerten: hinsichtlich der jeweiligen Möglichkeiten und Chancen, um Heranwachsende niedrigschwellig zu beteiligen, aber auch bezogen auf die Risiken, denn die meisten Online-Plattformen sind kommerziell ausgerichtet, sammeln Nutzerdaten und
die Betreiber sitzen mit ihren Servern im weniger reglementierten Ausland. Die Abwägung, ob Datenschutzbedenken höher anzusiedeln sind als der pädagogische Nutzen, ist also jeweils ein Einzelfall und braucht einen differenzierten Blick. Trotzdem lassen sich allgemeine Muster erkennen, die bei der Bewertung immer wieder auftauchen:
Freiwilligkeit
Anmelden und Mitmachen bei einem Dienst wie z. B. Discord sollte für die jugendliche Klientel freiwillig bleiben. Niemand darf sich langfristig ausgeschlossen fühlen oder wichtige Informationen verpassen, weil er/sie sich gegen die Nutzung entscheidet. Es gilt daher, unbedingt zu versuchen, die Jugendlichen auch auf alternativen Wegen einzubinden. Hierbei bietet sich beispielsweise die Nutzung von sicheren Messengern wie Threema oder Signal an. Viele Dienste haben Einblick in alle Nachrichten und Gespräche. Dies sollten die
Nutzer:innen der Plattform stets im Kopf haben, wenn sie über Privates und Internes sprechen. Gerade bei Eins-zu-eins-Beratungen für Jugendliche sollten alternative Tools und geschütztere Möglichkeiten im Blick sein.
Datenschutz
Damit Heranwachsende ein Tool nutzen können, müssen sie ihre ausdrückliche Zustimmung zu den Nutzungs- und Datenschutzbedingungen erteilen. Daher ist es unerlässlich, die Kinder und Jugendlichen bezüglich sensibler Daten aufzuklären und ein Bewusstsein zu schaffen, mit der jeweils eingesetzten Plattform entsprechend reflektiert umzugehen. Privatsphäre, die eigene und die der anderen, sollte so weit als möglich gewahrt werden. Ob ein Tool in einer Einrichtung genutzt werden darf, muss auf Grundlage der Datenschutzbestimmungen mit Arbeitgeber*in und Datenschutzbeauftragten abgeklärt werden. Bei der Entscheidung ließe sich gegebenenfalls auf schon getroffene Vereinbarungen und Richtlinien zu anderen Anwendungen, wie z. B. WhatsApp, zurückgreifen.
Sicherheitseinstellungen
Über individuelle Benutzereinstellungen zu Privatsphäre und Sicherheit lässt sich bei allen gängigen Tools die Datenauswertung etwas begrenzen, und der Zugang zu den Kommunikationsinhalten für Fremde kann eingeschränkt werden. Videotutorials zu Einstellungen der jeweiligen Accounts finden sich z. B. beim YouTubeKanal „Jugendhilfe Navi“ in der Reihe HOW TO.
Umgangsformen
Wer ein Tool einsetzt, sollte Regeln zur Nutzung dieses Tools erstellen. Solch eine Netiquette kann auch gemeinsam mit Jugendlichen erarbeitet werden. Jugendliche sollten wissen, an wen sie sich wenden können, falls es zu Verstößen oder Konflikten auf dem Server kommt! Jugendliche sollten außerdem auf mögliche Risiken und Gefahren der Plattform aufmerksam gemacht werden. Es ist zu empfehlen, gemeinsam zu besprechen, warum Privatsphäre- und Datenschutzeinstellungen sinnvoll sind.
Moderation
Text- und Sprachkanäle aufmerksam zu begleiten und den Informationsfluss auf dem Server zu kontrollieren, ist überaus wichtig. Pädagogische Fachkräfte sollten stets im Blick haben, dass bei Zusammenkünften auf Online-Plattformen gewisse Risiken bestehen. Hierzu zählen Konfrontationsrisiken wie z. B. die Verbreitung von jugendgefährdenden und extremistischen Inhalten. Derzeit sind zudem zunehmend Verschwörungstheorien und Fake News im Umlauf. Aber auch Kontaktrisiken durch Fälle von Cybermobbing oder Cybergrooming sind möglich. Beim Aufbau eines Angebots sollte abgewogen werden, ob der Schwerpunkt des Servers auf einer großen Reichweite und einem unkomplizierten Aufbau einer Community liegt oder ob er einen relativ geschützten Kommunikationsraum für eine festgelegte Gruppe darstellen soll.
Arbeitsalltag
Wenn die Einbindung von Social Media zum pädagogischen Angebot einer Einrichtung gehören soll, muss sich dies auch in den Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter:innen widerspiegeln. Das bedeutet, dass die Nutzung der Plattform idealerweise über Dienstgeräte erfolgt und die nötige Arbeitszeit zur Pflege und Betreuung der Plattform angerechnet wird. Rechtslage bezüglich der Altersgrenzen Artikel 8 der DSGVO legt verbindlich fest, dass Kinder bzw. Jugendliche selbst erst ab 16 Jahren wirksam in die Verarbeitung ihrer Daten einwilligen dürfen. Bei unter 16-Jährigen gilt grundsätzlich, dass sich Unternehmen wie etwa WhatsApp „unter Berücksichtigung der verfügbaren Technik mit angemessenen Anstrengungen“ vergewissern sollen, ob Eltern oder andere Sorgeberechtigte mit der Nutzung einverstanden sind und eine Einwilligungserklärung abgegeben haben. Die meisten Plattformanbieter orientieren sich in ihren AGB maximal an der Altersgrenze, fordern aber keine weitere Verifikation. Deshalb sollten Fachkräfte möglichst vor der Kontaktaufnahme zu den Kindern und Jugendlichen darauf hinweisen, dass unter 16-Jährige die Plattform nur nutzen sollten, wenn die Eltern auch damit einverstanden sind. Idealerweise wird eine Einverständniserklärung (hierfür existieren keine festen Vorgaben), etwa per Mail, SMS, Telefonat, von den Sorgeberechtigten eingeholt. Falls möglich, sollten Eltern die Social-Media-Nutzung ihrer Kinder begleiten bzw. gemeinsam Nutzungsregeln besprechen. Und wenn kein Einverständnis der Eltern vorliegt? Hierzu ist dem Satz 3 des Erwägungsgrundes 38 der DSGVO zu entnehmen: „Die Einwilligung des Trägers der elterlichen Verantwortung sollte im Zusammenhang mit Präventions- oder Beratungsdiensten, die unmittelbar einem Kind angeboten werden, nicht erforderlich sein.“
Daraus dürfte folgen, dass bei Angeboten, die schon per Definition das Wohl von Kindern und Jugendlichen fördern – wie etwa die Kinder- und Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII –, das Einholen der elterlichen Zustimmung entbehrlich ist. Dies gibt Fachkräften aber keinen Freibrief dafür, ohne elterliche Zustimmung mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Vor allem bei Plattformen, die klar kommunizieren, dass sie auch von unter 16-Jährigen personenbezogene Daten zu Werbezwecken sammeln und für die Erstellung von Nutzerprofilen verarbeiten, sollte dies eher Ausnahme als Regel sein.
Dieser Artikel wurde verfasst von:
Britta Schülke
Volljuristin und Geschäftsführerin der AJS
Matthias Felling
Diplom-Pädagoge, Fachreferent für Jugendmedienschutz
und pädagogische Leitung bei der AJS
AJS bietet Material und Fortbildungen
Die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW begleitet das Thema Digitalisierung aus pädagogischer und rechtlicher Perspektive. Regelmäßig werden Fortbildungen für Fachkräfte angeboten. Zudem werden Stellungnahmen
und Merkblätter (z. B. „WLAN in der Jugendhilfe“ oder „DSGVO“) veröffentlicht:
www.ajs.nrw