Filmvorführung

„Wir zeigen es allen“

Inklusive Filmbildung an Duisburger Förderschulen. Gastbeitrag von Claudia Ziegenfuß

Jedes Jahr im November lädt doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche, die junge Sektion der Duisburger Filmwoche, SchülerInnen aller Altersklassen zu einem vielseitigen Dokumentarfilmprogramm ein. Gezeigt werden bewegte Bilder, die es schaffen, die Lebenswelt heutiger Kindheit und Jugend einzufangen. Filme mit jungen Menschen, für junge Menschen. Aus Deutschland, aus Europa, aus der Welt. Filme über Familie, Freundschaft, Identitätssuche, Andersartigkeit, über die guten und weniger guten Momente auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Während des doxs! Festivals finden im Duisburger Filmforum seit Jahren SchülerInnen verschiedener Schulformen zusammen, erleben und verarbeiten gemeinsam das Gesehene in den anschließenden Gesprächen. Das Kino wird für das meist heterogene Publikum zum außerschulischen Lernort, zu einem Ort der (inklusiven) Begegnung. Was im Kino bereits selbstverständlich zu existieren schien, suchte in der schulischen Bildungsarbeit von doxs! nach einer Entsprechung. Mit dem Projekt „Wir zeigen es allen!“ startete doxs! schule 2012 deshalb den Versuch, die Möglichkeiten einer inklusiven Filmbildung und Filmvermittlung im Klassenraum auszuloten.

Der Weg in die Schulen

An zwei Förderschulen in Duisburg wurden Ende 2012 erstmals Filmprojekte initiiert, die auf die Besonderheiten der teilnehmenden SchülerInnen eingehen und an ihren speziellen Wahrnehmungskapazitäten anknüpfen sollten. Während in einem Workshop mit und für sehbeeinträchtigte Jugendliche eine Audiodeskription für einen Kurzfilm entwickelt, getextet und vertont wurde, erforschten im zweiten Projekt SchülerInnen einer Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung den Erlebnisraum Film. Im gemeinsamen Sehen von dokumentarischen Kurzfilmen und praktisch anregenden Übungen entdeckten sie deren Funktionsweise, aber auch das darin enthaltene ästhetische Mittel zum persönlichen Ausdruck. Im Zuge beider Projekte ging es darum, bisher intuitive Erfahrungen in der Filmarbeit mit Förderschülern zu reflektieren und spezifische Vermittlungsstrategien für spezifische Förderbereiche zu entwickeln.

Während der Konzeptentwicklung standen deshalb folgende Fragen im Fokus: Wie kann eine praktisch orientierte Filmarbeit mit einer rezeptiven Vermittlung des Mediums verbunden werden? Welche (Dokumentar-)Filme eignen sich für den inklusiven Einsatz? Und welche Methoden können für eine heterogene und binnendifferenzierte Projektarbeit herangezogen werden bzw. gilt es (weiter) zu entwickeln? Um dem Pilotcharakter des Projektes zusätzlich gerecht zu werden, versuchten wir von Beginn an die betreuenden LehrerInnen in die Planung mit einzubeziehen. Dabei ging es weniger darum, die individuellen Möglichkeiten der einzelnen SchülerInnen zu erfragen, sondern die Rahmenbedingungen der schulischen Arbeit allgemein wahrzunehmen. Das Projekt sollte sich möglichst in den vertrauten Tagesablauf einfügen, ohne Unsicherheiten und Überforderung zu verursachen.

Hörfilm selber machen

Im Projekt „Junge Filmbeschreiber“ beschäftigten sich SchülerInnen der LVR-Johanniterschule Duisburg Förderschwerpunkt Sehen mit dem Thema Audiodeskription. Unter der Leitung des Medienpädagogen Christian Kosfeld und mit Unterstützung des professionellen Filmbeschreibers Michael Ogrizek erkundeten sechs SchülerInnen der Jahrgangsstufe 9/10 die Möglichkeiten sprachlichen Ausdrucks: Wie und mit welchen sprachlichen Mitteln können und müssen filmische Bilder beschrieben werden, damit auch Menschen mit einer Sehbehinderung diese wahrnehmen können?

Kurzfilm Sturmfrei in der SchuleDafür diskutierten die Jugendlichen zusammen mit Michael Ogrizek was eine Hörfilmfassung überhaupt ist, was sie leisten kann und leisten soll. Das war auch für die Jugendlichen neu, die in ihrer Medienrezeption bisher auf solche technischen Hilfsmittel verzichteten, auch wenn ihr Filmerleben dadurch zum Teil erheblich eingeschränkt war. Im Anschluss erprobten die SchülerInnen spielerisch die Funktionsweise anhand eines 3-minütigen Kurzfilms. In kleinen Live-Einsprech-Sessions probierten sich die SchülerInnen spontan im Formulieren oder machten sich kleine Notizen und Anhaltspunkte zur inhaltlichen Ausgestaltung. In mehreren Verdichtungen kristallisierte sich heraus, auf was es bei einer Audiodeskription vor allem ankommt: Welche Informationen sind wirklich notwendig (Wer macht wo was: Beschreibung des Ortes, der Figuren/Personen, der Aktionen, der Zeit) und auf welche kann verzichtet werden. Ein Hörfilm, so die Erkenntnis, ist aber immer auch Interpretation. Denn die Entscheidung, was und wie Ereignisse vermittelt, wie Mimik und Gestik, das Verhalten und die Blickwechsel der handelnden Personen beschrieben werden, ist bei aller Genauigkeit und Sachlichkeit immer auch Auslegungssache.

Mit diesen ersten Erfahrungen widmeten sich die Jugendlichen dem eigentlichen Projektziel – der Erstellung einer eigenen Audiodeskription für den Kurzfilm „Sturmfrei“ (Sarah Winkenstette, D 2010, 10 Min.). In zwei Gruppen erarbeiteten die SchülerInnen selbstständig eine gemeinsame Vorlage, die im Anschluss von ihnen in einer zweistündigen Aufnahme-Session mit professioneller Technik eingesprochen wurde.

Audiodeskription erstellenDie zum Teil sehr akribische, hoch konzentrierte und auch anstrengende Arbeit wurde von den SchülernInnen nie als langweilig, sondern eher als Herausforderung mit ausreichendem Spaßanteil empfunden. Innerhalb des Projektablaufs erfuhren die SchülerInnen ihre eigene Fähigkeit zur Interpretation, arbeiteten kreativ und eigenständig, probierten sich darstellerisch aus und bereicherten den Film durch ihre Reflexion und Interpretation mit einer ganz eigenen Hörfilmfassung.

Die aufgenommenen Tonspuren und zusätzliches Material zum pädagogischen Ablauf wurden nach Projektabschluss Dr. Barbara Kamp / Methode Film zur Produktion der Film-DVD „Sturmfrei“ für den schulischen Einsatz zur Verfügung gestellt. Sie ist seit diesem Frühjahr für den Erwerb erhältlich.

Film ab! – Kamera läuft!

Gerade Dokumentarfilme bieten Schu?lern/innen – egal ob mit oder ohne Förderbedarf – die Möglichkeit, eine Vielzahl von Lebensentwu?rfen und Themenspektren kennen zu lernen, sie zu entdecken, zu hinterfragen, anzunehmen oder auch abzulehnen. Anhand einer filmpädagogischen Begleitung werden sie daru?ber hinaus motiviert, die Möglichkeiten filmischen Ausdrucks selbst zu entdecken. Seit langem ist es doxs! ein Anliegen diese Erfahrungen auch fu?r eine Filmvermittlung in einem sonderpädagogischen Kontext auszuloten.Heranwachsende mit Lernbehinderung bei der Filmarbeit Fu?r das Projekt „Wir zeigen es allen!“ entstand deshalb auch die Idee, mit Schu?lern/innen einer Förderschule gemeinsam ausgewählte Dokumentarfilme zu sehen und deren Funktionsweise durch das selbstständige Realisieren kleinerer Filmu?bungen zu erforschen. Im Vordergrund standen dabei stets aktivierende, sinnesbezogene, anschauliche, assoziative und spielerische Arbeitsformen.

Im Jahr 2012 gewann doxs! so die Friedrich-Fröbel-Schule Duisburg als zweiten Projektpartner, eine städtische Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. Die SchülerInnen der berufspraktischen Oberstufe, 12 Jugendliche ab 16 Jahren, wurden uns als Projektgruppe empfohlen. Viele von ihnen weisen verschiedene Formen fru?hkindlichen Autismus auf, haben Lernbehinderungen oder Probleme in sozialen Interaktionen. Ein Junge in der Gruppe ist außerdem schwerst-mehrfach-behindert. Betreut und realisiert wurde das Projekt durch Angela Matianis (Filmpädagogin) und mich.

Filmarbeit an der FörderschuleIn einer Kombination aus Filmzeigen und handlungsorientierter Arbeit versuchten wir innerhalb der Projektwoche, beide Bereiche immer wieder miteinander zu verknüpfen. Den SchülerInnen sollte dies die Rezeption von ungewohnten Filmen erleichtern, aber auch vielfältige Anregungen für eine eigene praktische Umsetzung bereit halten. Im eigenen Nachahmen der filmischen Vorlage reflektierten die Jugendlichen ästhetische und formale Eigenschaften leichter, verstanden Macharten und lernten verschiedene Filmgattungen (er)kennen. Beispielsweise führte die Vorführung des Films „Lunars Bilder“ (Jean-Stéphane Sauvaire, F 2000, 5 Min.) zur Realisierung eines eigenen kurzen Films mit dem Titel „Unsere Bilder“, in der die SchülerInnen ihre Lieblingsorte innerhalb des Schulgeländes mit der Idee des im Film genutzten Fernsehrahmens porträtierten. An den Film „Fliegenpflicht für Quadratköpfe“ (Stephan Flint Müller, D 2004, 14 Min.) schlossen sich wiederum Übungen zu Filmtricks und Trickfilmtechniken an. Am Ende der Woche konnten wir in einer großen Schulvorführung so insgesamt drei Kurzfilmergebnisse präsentieren. Die Reaktionen des Schülerpublikums reichten von „So was tolles könnt ihr?“ bis „Ich würde so was auch gerne mal ausprobieren“.

In einem ausführlichen Abschlussbericht wurden die Erfahrungen beider Projekte zusammen mit medienpädagogischen Empfehlungen zusammengetragen und für interessierte LeserInnen aufbereitet und kann von der Webseite heruntergeladen werden.

„Wir zeigen es allen!“ – Runde II

Auch 2013 kann das Projekt mit zwei neuen Duisburger Schulpartnern realisiert werden. Beteiligt sind die Buchholzer Waldschule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sowie die Christian-Zeller-Förderschule mit dem Schwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung. Das Projekt an der Waldschule ist bereits abgeschlossen, jenes an der Christian-Zeller-Schule wird noch folgen.
Beide Schulen besuchten mit den teilnehmenden Projektgruppen das diesjährige doxs! Festival Anfang November und schufen so vorab erste Berührungsmomente mit dem ungewohnten Genre des dokumentarischen Kinder- und Jugendfilms. Einige SchülerInnen kamen zusätzlich sogar zum sonntäglichen Abschlussprogramm mit ihren Familien. Die Motivation für die nachfolgende Projektwoche war damit bereits gegeben.

Filmarbeit an der FörderschuleÄhnlich wie an der Friedrich-Fröbel-Schule, stand auch bei der Buchholzer Waldschule die Verbindung zwischen Filmsehen und praktischer Filmarbeit im Vordergrund. Die gesamte Berufspraxisstufe beteiligte sich an der Projektwoche, insgesamt also 18 SchülerInnen. Nach anfänglichen Übungen zur Kameratechnik und Bildgestaltung und verschiedenen filmischen Inputs, arbeiteten die SchülerInnen bald selbstständig an einem Portrait ihres Schulalltages, mit Unterstützung des doxs! Teams bestehend aus Larissa Braunöhler und mir. Erste Berührungsängste lösten sich durch das Ausprobieren bald auf. Filmarbeit an der FörderschuleAuch entstanden durch das Arbeiten in kleinen Teams besondere Momente, in denen sich die SchülerInnen gegenseitig vor und hinter der Kamera immer wieder Mut zusprachen und einander halfen. Die Jugendlichen konnten sich innerhalb der Woche in allen Disziplinen ausprobieren, eigene Stärken und Leidenschaften neu entdecken. Filmische Stationen bildeten typische Unterrichtseinheiten, wie Werken, Gartenarbeit, die Nutzung von Unterstützter Kommunikation, aber auch die einmal wöchentlich stattfindenden Schulereignisse Musikcafé und Disko. Die Jugendlichen übten sich dafür zusätzlich in Interviewtechniken, indem sie sich gegenseitig, aber auch LehrerInnen vor das Mikrofon holten. Sprachliche Barrieren wurden von einigen innerhalb eines Tages überwunden und sorgten für viel Staunen bei Mitschülern/Innen und dem Lehrpersonal. Die Technik und das gemeinsame Ziel sorgten für Konzentration, Motivation und genügend Spaß an der Sache. Am Ende entstand ein halbstündiger Film, der, so der Kommentar eines betreuenden Lehrers, erstaunlich treffend das schulische Leben einer Förderschule einfängt und es schafft, die schönen, aber auch herausfordernden Situationen ehrlich abzubilden.

Ende Januar 2014 werden in einem Abschlussbericht erneut die Ergebnisse und Erfahrungen aus beiden Workshops ausführlich zusammengetragen und online zum Download angeboten.

Das Projekt „Wir zeigen es allen“ wurde dank der Stiftung der Sparkasse Duisburg 2013 bereits zum zweiten Mal finanziert. Die Stiftung „Unsere Kinder – Unsere Zukunft“ fördert damit explizit die medienpädagogische Arbeit an Duisburger Förderschulen.

Weitere Informationen zu der medienpädagogischen Arbeit von doxs! schule finden Sie auf www.do-xs.de.

Alle Bilder © doxs!