Ein inklusives Brickfilmprojekt mit Aspekten der Leseförderung. Gastbeitrag von Ella Dorothea Polenz
Die Community der Brickfilmbegeisterten, wobei „Brickfilm“ für Stop-Motion-Animationen mit Lego®-Figuren steht, ist groß und gut vertreten im World Wide Web. Auch im Kinobereich erfreuen sich etwas anders produzierte Lego®-Filme aktuell großer Beliebtheit: Ein attraktiver Anknüpfungspunkt, um gemeinsam in einer bunten Gruppe aktive Medienarbeit anzukurbeln und zusammen einen ersten eigenen Brickfilm zu erstellen! Nicht zuletzt, weil Medienprojekte im günstigsten Fall immer an die Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen anknüpfen sollten. (Spanhel 2006, S. 301)
Da Medien ja bekanntlich nicht nur audiovisuelle Formate umfassen, wurde eine Geschichte aus einem populären Kinderbuch zur Drehbuchgrundlage erkoren: „Kommissar Kugelblitz und das halbe Klavier“ von Ursel Scheffler. So war es möglich, neben dem sehr ausgeprägten medienpädagogischen Aspekt, auch einen kreativen Umgang mit Texten zu fördern… und vielleicht sogar zum Lesen zu motivieren?!?
Projektziele
You and me for brickfilm… Das Projekt hat sich als ein sehr komplexes Netzwerk von Lernanlässen entwickelt. Für die Kinder stand primär natürlich das Produkt, ihr ganz eigener Film, im Vordergrund. Auf dem Weg dahin, galt es jedoch einige Herausforderungen zu meistern: Unter anderem das Kennenlernen des Stop-Motion-Prinzips, verschiedener Kameraperspektiven und andere medienbezogene Inhalte. Aber auch der Weg von der geschriebenen oder erzählten Geschichte zum Storyboard und Film war ein spannender Pfad. Wie schon angeklungen, stand eine Kriminalgeschichte mit Kommissar Kugelblitz im Vordergrund. Die Idee dahinter war, bewusst einen Vertreter der „alten Medien“, ein Buch, mit „neuen Medien“, in diesem Fall einen Brickfilm, zu verknüpfen. Diese Verflechtung wird in der Leseförderung als ein sinnvoller Weg verstanden, auf den Wandel von Kindheit und Jungend und ihren Rezeptionsgewohnheiten angemessen zu reagieren. (Richter/ Plath 2012, S.17) Vor allem Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche zum Lesen zu motivieren, die Lust auf Bücher zu wecken, sind für die Leseförderung von elementarer Bedeutung (ebd. S.5) und haben damit die Projektidee maßgeblich beeinflusst. Auch die Entscheidung für eine Kriminalgeschichte war bewusst getroffen: Krimi-Geschichten gelten als Textformen, die die Verstehensleistung von Kindern und Jugendlichen besonders fördern – denn mitdenken und aufmerksam auf Hinweise zu achten ist Pflicht, wenn man am Ende den Täter finden will! (Wigbers 2007, S.5) Mindestens genauso spannend wie Lego, Kommissar Kugelblitz und eine ziemliche Menge Technik, und vielleicht sogar am wichtigsten, war die Erfahrung, dass wir es nur gemeinsam schaffen und der Umgang miteinander für die Projektentwicklung entscheidend ist!
Projektumsetzung und Verlauf
Das Projekt fand im Rahmen eines Nachmittagangebotes, in einem Team von fünf Kindern mit und ohne Förderbedarf im Alter von ca. 9 Jahren, statt. Ausgangspunkt war, wie erwähnt, Ursel Scheffler’s „Kommissar Kugelblitz und das halbe Klavier“. Die Geschichte hat einen relativ geringen Textumfang, ist durch einige Bilder aufgelockert, und noch wichtiger – sie kann durch ein Hörbuch ergänzt werden! So war es möglich, die Geschichte, ausgehend vom Hörbuch, auf mehreren Kanälen zu erkunden, bis der Täter gefunden war! Anschließend haben wir uns Gedanken darüber gemacht, welche Szenen gedreht werden müssen, um die Geschichte in der Filmdarstellung zu verstehen, sowie welche Kulissen und Figuren wir dafür brauchen. Danach ging es an den Dreh: Während ein Kind am Laptop den Auslöser der Kamera betätigte und die Bewegungsabläufe vor Augen hatte, bewegten die anderen für jedes Bild ihre Figur ein kleines bisschen weiter oder waren mit dem Aufbau der nächsten Szene beschäftigt. Bei allen Projektabschnitten war es immer wieder wichtig zu schauen, wer welche Aufgabe übernimmt, wer etwas Neues ausprobieren möchte und wo wir uns gegenseitig dabei unterstützen können. Gerade Lego®-Figuren sind besonders filigran… einen Schritt vor den anderen zu setzten kann auch für Kinder ohne motorische Schwierigkeiten schon eine große Herausforderung sein – kreative Lösungen sind gefragt! Dann kann es schon mal vorkommen, dass die beiden Lego®-Jungs auf Skateboards um die Ecke kommen, und damit wesentlich besser bewegbar sind, auch wenn es so nicht in der Geschichte steht. Zu Beginn jedes neuen Tages haben wir uns das Ergebnis des vorherigen Projekttages angesehen und den weiteren Verlauf besprochen…. Manchmal voll Begeisterung und manchmal ganz schön frustriert! Was war schief gelaufen? Ein heftiger Streit, wer was besser kann und wer schuld sei an verwackelten Bildern, hat uns ziemlich zu Beginn einen ganzen Tag gekostet! … Aber eine wertvolle Erfahrung ist geblieben: Nur gemeinsam kommen wir voran und Unstimmigkeiten müssen geklärt werden, damit es weiter zusammen Spaß macht!
Projektergebnisse und Erkenntnisse
Eine besondere Freude war es, am Ende den Film in allen Klassenstufen präsentieren zu können! Nicht nur der Applaus hat den Kindern gut getan, sondern auch die vielen interessierten Nachfragen der Mitschüler, wie sie das nur gemacht haben! Auch war es möglich, Interesse und erste Kompetenzen für die eigene „Brickfilmproduktion“ im Projektteam anzubahnen. Die Gruppe war sehr daran interessiert Informationen über alle Programme, die wir benutzt hatten, zu erhalten, um später in Eigeninitiative weitere Ideen umzusetzen. Besonders habe ich mich auch über kleine neue Wagnisse der Teilnehmer gefreut. So war eine Teilnehmerin mit Hörschädigung fest davon überzeugt, dass ihre Stimme komisch klinge und sie deshalb keinen Text einsprechen wolle… Aber das Hundebellen hat sie sich dann doch getraut und ganz zum Schluss sogar einen Dialog mit eingesprochen! Einfach super! Auch Kommissar Kugelblitz ist nicht im Lego versunken… In der Anfangsbesprechung eines Projekttages, hatte eins der Kinder einen Sammelband von Geschichten unseres weißhaarigen Helden mitgebracht und uns daraus noch eine neue Geschichte vorgelesen… hier konnte sich ebenfalls ein kleiner Funke für die Lesebegeisterung entzünden! Als Projektdurchführende ist mir zudem positiv deutlich geworden, wie wichtig eine gründliche Vorbereitung ist, um an Engpässen sinnvolle Impulse zu geben und die Gruppe gut unterstützen zu können: Dazu gehörte für mich zum Beispiel, selbst einige Szenen im Vorfeld zu drehen, um das Projekt zu testen, möglicherweise schon Schwachstellen zu finden, und daraufhin bereits Differenzierungsmöglichkeiten und Hilfestellungen einzuplanen. Praktisch hieß das unter anderem, die Geschichte in Audio und Schrift zur Verfügung zu stellen, oder eventuell sogar eine gekürzte Version parat zu haben. Auch für die Auswahl der Geschichte habe ich mir viel Zeit genommen, um einen Text zu finden, der für den Anfang gut umsetzbar ist. Dieser sollte nicht zu viele Szenen haben und Elemente wie Fahrzeuge beinhalten, die einfachere Bewegungsabläufe für die Stop-Motion-Inszenierung ermöglichen etc.
Inklusion?
…heißt die Bedürfnisse ALLER in den Blick zu nehmen! Durch Schwierigkeiten lernt man ja meistens die wichtigsten Dinge… So gab es an einem Projektnachmittag eine kleine Krise, die mit der aktuellen Familiensituation zweier Kinder zu tun hatte: Plötzlich befand ich mich in einer Situation, in der die Kinder ohne sogenannten Förderbedarf meine ganze Aufmerksamkeit brauchten, während die Kinder mit sogenanntem Förderbedarf einfach am Projekt weiterarbeiteten – WOW!
Literatur:
Spanhel, D. 2006: Handbuch Medienpädagogik 3: Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart Richter, K./ Plath, M. 2012: Lesemotivation in der Grundschule: Empirische Befunde und Modelle für den Unterricht (Lesesozialisation und Medien).3. Auflage, Beltz- Juventa Verlag, Weinheim Wigbers, M. 2007: Knifflige Fälle. Kriminalliteratur im Unterricht an Förderschulen. Fördermagazin (2007) 9, S.5-6