Gastbeitrag von Sabine Claudia Strauscheidt
„Was wir wissen, ist ein Tropfen; was wir nicht wissen, ein Ozean“ (Isaac Newton). Selten hat ein Zitat eine so tiefe Sinnhaftigkeit, wenn man es in Zusammenhang mit dem „Phänomen“ Legasthenie setzt: „Was wir wissen, ist ein Tropfen…“ – „wir“- kleine, große Menschen; mit, ohne Legasthenie; Lehrende, Fachkräfte, Familie am Beginn oder inmitten von (Schrift-)Sprache. Dazu Wissen, Sprachkritik, „chillige“ Neuschöpfungen. Sprachdiversität lässt grüßen. Was bedeutet „ein Tropfen“ in einer Kaskade von Buchstaben, die es zu beherrschen gilt oder in Sachen Förderansatz, im Hinblick auf normgerechtes Schreiben? Und: Was wissen wir alles nicht!
Wie SIEHT Legasthenie aus, bevor sie durch regelmäßige Abfrage von gewünschter Schreibkompetenz, eingestuft in „linierte“ Lernjahrgänge, erkennbar wird? Ein Wort-Ozean, in Lern-Wellen erreicht uns Schriftsprache – Bericht, Lyrik, altes Wort in neuem Kleid. Am Horizont – Schreib-weite. Wer ist mit wem in welchem Sprach-Boot, zeigt welche Lern-Flagge? Wie schreibt sich richtig Schreiben für Noch-Nicht-Schreiber?
Barriere mit Tarnkappe – Schriftsprache und ihre Tücken
Legasthenie ist oft mit Tarnkappe unterwegs, als unsichtbare Barriere, bis Schreib(an)forderung naht: Zurückhaltung beim Verschriftlichen, gepaart mit Erzählkunst vom Feinsten. Warum überhaupt aufschreiben? „Zuhören ist schöner“! Auswendig gelernt statt auswendig geschrieben; Personen“erzählung“ statt Personenbeschreibung; eilig macht den Fehler. Radierer und Bleistift – coole Tools im Trend-Design stets dabei. Verschrieben statt geschrieben. Fremdsprache – neu. Ein Buchstabe mehr – aus eine wird keine; ein Buchstabe weg, ein „anders“ dazu – aus Lose wird los… sinnverloren oder Sinn verloren, zuhause oder zu Hause – Neue Rechtschreibung für die Jungen als Quelle der Suche für die Alten (und IN alten Büchern!). Die Lerntherapeutin, zu Zeiten als Neu-Lernerin unterwegs im Schreibdschungel für Erwachsene, weiß: Ein radierbares Bleistiftwort IST zeitweise cool. Tatsache :-)!
Legasthenie inklusiv(e): Alltags-Lehren 🙂
Legastheniker, so sagt man, haben, erfahren, zeigen sehr vielfältige Wahrnehmungen von Schriftsprache. Allen Legasthenien gemeinsam scheint die Unterschiedlichkeit zu sein. Auch: Ab einem gewissen Zeitpunkt zeigt sich, dass der allgemein gebräuchliche Begriff „RECHTSCHREIBUNG“ nicht wie vormodelliert erworben, abgebildet, angewendet werden kann. Inklusive der Tatsache, dass ganz unterschiedliche Menschen in unterschiedlichsten Aufstellungen Legastheniker unterrichten. Gibt es einen „Führerschein“ für Sprache, Schreibweise inklusive, wie vielleicht beim 1×1 in Mathe? Wie z.B. „vorne“ erklären? „Vorne“ schreibt man am SatzANFANG groß. „Ich sitze im Bus ganz vorne“. Vorne schreibt man vorne und hinten KLEIN. „Aber ich sitze ich doch „Vorne“!“, am ANFANG, im BUS. Verblüffend – richtig?! Legastheniker sind hoffentlich an dieser Stelle mit der Geduld ausgestattet, die vielfältigen Erklärungsversuche von uns Lernbegleitermenschen zu be-greifen. Wie den „Apfel“ – den kann man anfassen, hurra, alles, was man anfassen kann „schreibt man groß“. „sSonne“ schreibt man auch groß!?“ „Die kann man nicht anfassen. Dafür steht das „die“ davor und bestimmt sie“. „Und wer ist der man(n)?“ Vor der Schreibweise findet sich oft die kreative Idee – es gilt sie zu finden, sich einzulassen! Schatzsuche ist angesagt. Vertrauen der Schlüssel für gemeinsames Entdecken.
Selbstwirksamkeit oder: per App in die Le-Galaxis?
An Lernorten von heute wird Wissen für morgen ausgebildet – das (Ab)Bild(en) von Sprache spielt unverzichtbare Rolle: Twitter, Email, nicht nur Fotos sind global! Lern-Apps, Bedienhilfen, bereitwillige Schreibprogramme, Vorlesefunktion, Schwere oder Leichte Sprache, Lehr-PDFs: Zusammenhänge erlesen, Wort- und Satzgrenzen sinnig einhalten, Ausdruck geben, Regeln anwenden in Konformität. Kurz um: Richtig Schreiben können ist geforderte, notwendige Kompetenz, Alltagstool. Trotzdem bitte nicht vergessen: Ohne Idee als Quell der Geschichten und Erfindungen gibt es das Wort und das Produkt samt Beschreibung nicht; ohne Assoziation (welche stimmt denn :-)?) mit Bekanntem entsteht das Neue nicht. Es gilt den Ausgangspunkt zu finden, den Ursprung mit dem alles (Schreib-)Lernen und Verstehen beginnt. Legasthenie kommt oft mit Irritationen, Fragen, Schreib-Zweifeln um die Ecke. Unabhängig von wie und wo erworben. Wie geht Wieder-Weg-Lernen? Tröstlich: Jährlich werden neue (Un)Wörter in unsere Sprache aufgenommen – da geht MITlernen von Anfang an :-).
Inklusion und (Medien) Pädagogik als Förderansatz treffen sich: „Manni Möhrchen“ 🙂
Wort-Schätze – finden, heben, be-greifen – Diesem Ansatz Raum gebend, der Erfahrung folgend, gepuzzelt aus viel Lega-Zeit, entfaltete sich eine Idee: Inklusive, medienpädagogisch gestützte Workshops für Lernende mit und ohne Legasthenie. In Leichter Sprache. Sprach-Gefühl-e im Vorfeld von App und Download entwickeln. Türöffner in Sachen geordnetes Wortbild: „Manni Möhrchen“, seine Freunde, als Stellvertreter. Inklusive Fantasie-Welt hilft (Schrift)Sprach-Barrieren gemeinsam zu entschlüsseln, Lese- und Sprachkompetenz wachsen zu lassen. Lern-Brücken (um)bauen, biegen, schneiden, kneten – selbst wirksam sein. Lernende als Experten für Übermittlung einzigartiger weil individueller Förderzugänge. Experten als Mit-Lerner und „Übersetzer“. Einzel-Wissen, bei aller Unterschiedlichkeit, kreativ verweben zum festen Sprachnetz. Die Fotodoku zeigt’s: Aus Tarnkappe wird Geschichte wird geordnetes Wort-Bild. Hilfe für die Fortsetzung in neuen Lernsettings. Neue Inspiration: Ein Begleitbuch. Folgt! 🙂
Übrigens, das größte Problem? „Wenn man keine Freunade hat“!
Kontakt
Sabine Strauscheidt
Diplomierte Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin (EÖDL)
www.mehele.de
medien-pädagogisch helfen beim Lernen
strauscheidt.mehele[at]gmail.com