Mädchen im Rollstuhl vor einer Treppe

KOBLENZ – Meine Stadt barrierefrei?!

Eine mediale Sozialraumerkundung in Rollstuhlfahrer-Fußgänger-Tadems – Gastbeitrag von Annika Müller

Das Projekt „KOBLENZ – Meine Stadt barrierefrei?!“ wurde von medien.rlp, dem Institut für Medien und Pädagogik e.V. im Rahmen der Aktion Mensch-Förderaktion „Noch viel mehr vor!“ entwickelt und in Kooperation mit der Lebenshilfe Koblenz vom 24. bis 28. August umgesetzt. Dabei richtete es sich an Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne körperliche Beeinträchtigung, die im Rahmen einer medialen Sozialraumerkundung in Rollstuhlfahrer-Fußgänger-Tandems, Raum für Selbstwirksamkeits- und Inklusionserfahrungen bekommen sollten. Der mediale Aspekt während der Erkundungstour nach Lieblingsorten in Koblenz lag zunächst darin, die Erfahrungen und Erkenntnisse in Bezug auf das Thema „Barrierefreiheit“ fotografisch zu dokumentieren und im Anschluss auf einem gemeinsamen Web-Blog der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Vorbereitung & Planung

Die Teilnehmerakquise fand im Vorfeld über die Lebenshilfe Koblenz statt, die gezielt direkten Kontakt zu einzelnen Personen aufnahm und diese über das Projekt informierte. Erfreulicherweise fanden sich für das Projekt in den Schulferien sehr schnell fünf Mädchen und drei Jungen zwischen 14 und 25 Jahren. Für die Projektdurchführung konnten die Räumlichkeiten des Medienladens Koblenz im Kurt-Esser-Haus genutzt werden, die über den barrierefreien Eingang des Jugendtreffs im Erdgeschoss und über einen Fahrstuhl für die acht Teilnehmenden gut erreichbar waren. Die Verwaltung des WordPress-Blogs erfolgte vorbereitend durch medien.rlp. Ebenso wie die medientechnische Ausstattung durch Beamer, Rechner und Smartphones sowie die Verpflegung der Teilnehmenden während der Projekttage. Zudem fand bereits einen Monat vor Projektbeginn ein Vortreffen in der Lebenshilfe Kita Kunterbunt statt, zu dem alle Teilnehmenden eingeladen waren und die wichtigsten Informationen zum Projekt erhielten. Das Treffen diente neben dem Austausch von Fragen auch dem ersten Kennenlernen in Betracht auf mögliche Tandem-Kombinationen.

Projektdurchführung

Das Projekt war auf vier Tage à sechs Sunden inklusive einer Stunde Mittagspause sowie einem zusätzlichen Präsentationsabend angesetzt: Der erste Projekttag gestaltete sich zunächst aus einem interaktiven Kennenlernspiel. Hierzu waren bunte Schilder mit verschiedenen Medienbegriffen wie „Fernsehen“, „Handy und Smartphone“ oder „Bücher/ Zeitschriften“ an den Raumwänden angebracht. Je nach Formulierung der Frage, sollten sich die Teilnehmenden der jeweiligen Ecke bzw. dem Begriff zuordnen, der für sie persönlich zutraf. Wie aktuelle Mediennutzungsstudien bereits verdeutlichen, stellte sich auch hier heraus, dass das Smartphone das meistgenutzte Medium der Teilnehmenden war und ihre Nutzungspräferenzen hauptsächlich im Bereich Kommunikation, Internet und Fotografie lagen.

Anschließend erfolgte eine Einführung in den Themenschwerpunkt „mediale Sozialraumerkundung“, bei der auch die Seite Wheelmap.org der SOZIALHELDEN vorgestellt wurde. Diese Seite zum Suchen, Finden und Markieren rollstuhlgerechter Orte durch Online-Karten war den meisten Teilnehmenden im Rollstuhl bereits bekannt und sollte zunächst nur zur Inspiration und ersten gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Thema „Barrierefreiheit“ dienen. Ziel war jedoch die unvoreingenommene Erkundung und Bewertung der persönlichen Lieblingsorte der Teilnehmenden.

Rollstuhlfahrer und Fußgänger in einer UnterführungNachdem die vier Projekt-Tandems eingeteilt waren, wurden pro Tandem ein Smartphone ausgeteilt und die wichtigsten Punkte der fotografischen Bildgestaltung besprochen. Ein erstes Probefotografieren mit anschließender Besprechung der Fotos im Plenum, half den Teilnehmenden sich auf die kommende Sozialraumerkundung bzw. fotografische Dokumentation vorzubereiten. Abschließend zum ersten Projekttag wurden die Lieblingsorte der einzelnen Tandems gesammelt, die Reihenfolge der zu besuchenden Orte besprochen, ggfs. die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln geplant und Handynummern ausgetauscht. Der zweite und dritte Projekttag lag nun ganz im Zeichen der Stadtraumerkundung. Dazu traf sich die komplette Gruppe, einschließlich Projektleitung und -assistenz um 10.00 Uhr am Medienladen, um von dort gemeinsam ggfs. mit zusätzlicher Begleitung zu starten. Für ein Tagesresumée im Plenum wurde jeweils 15.30 Uhr am gleichen Treffpunkt vereinbart. Die Mittagspause konnten sich die Teilnehmenden an diesen beiden Tagen selbst einteilen.

Ziel dieser Einheit war es, pro Tandem ca. zwei bis drei Lieblingsorte in der Stadt zu besuchen, diese auf Barrierefreiheit zu überprüfen und die Ergebnisse fotografisch mit den Smartphones zu dokumentieren. Hierzu wurden ihnen folgende Ausgangsfragen mit an die Hand gegeben:

  • Welche Lieblingsorte habt ihr und was macht diese zu besonderen Orten?
  • Gibt es Unterschiede zwischen Lieblingsorten von Menschen mit und ohne Behinderung und sind diese auf Barrieren zurückzuführen?
  • Gibt es Träume von bestimmten Orten (beispielsweise historischen Gebäuden), die aufgrund von Barrieren nicht oder nur schwer zu erreichen sind?
  • Welche Verbesserungsmöglichkeiten bzw. sogar Positivbeispiele gibt es und wie kann das Thema „Barrierefreiheit“ in Zukunft stärker auch in die Städteplanung bzw. Architektenausbildung verankert werden?

Einkaufszentren, Fußgängerzonen, bekannte Ausflugsziele, Eisdielen und viele Orte mehr wurden dabei genau unter die Lupe genommen. Die Motivation und Ergebnisse der Tandems waren beeindruckend und äußerst gewinnbringend, da sie sowohl zahlreiche Positiv- als auch Negativbeispiele in Bezug auf barrierefreie Stadtraumgestaltung sammelten. So kamen bei den Teilnehmenden während der Tour immer wieder spannende Fragen auf, wie beispielsweise „Gibt es eine Mindestgröße für Umkleidekabinen?“ oder „Was geschieht im Falle eines Brands mit Rollstuhlfahrern in Einkaufszentren, wenn die Fahrstühle nicht mehr benutzt werden dürfen?“ Diese Fragen wurden notiert und für die Diskussionsrunde bei der Abschlusspräsentation, zu der auch der Behindertenbeauftragte der Stadt Koblenz eingeladen war, gesammelt.

Projektteilnehmende mit und ohne Rollstuhl vor dem ComputerDer vierte und letzte offizielle Projekttag diente der gemeinsamen kreativen Gestaltung des Web-Blogs. Vorbereitend wurde für jedes Tandem ein Zugang als Redakteur eingerichtet, sodass die Gruppen synchron an der Website arbeiten konnten. Nach einer kurzen Einführung in die wichtigsten Funktionen des Website-Backends, legten die acht Teilnehmenden unter dem Reiter „Team“ zunächst Kurzprofile an, in denen sie sich selbst vorstellten. Anschließend ging es an die Textgestaltung. Dabei wurde jeder Lieblingsort mit einem kritischen Beschreibungstext und passenden Fotos versehen. Gemeinsam wurde schließlich in einer abschließenden Reflexionsrunde der Ablauf der öffentlichen Abschlusspräsentation besprochen, die für den folgenden Tag auf 18.00 Uhr in der Lebenshilfe Kita Kunterbunt angesetzt war.Neben dem Behindertenbeauftragten sowie der Koblenzer Rhein-Zeitung, kamen vor allem Eltern, Geschwister und Freunde der Teilnehmenden, die interessiert den jungen Expertinnen und Experten lauschten und mit ihnen anschließend ins Gespräch kamen. Die Präsentation ihres „Werkes“ ermöglichte den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Gefühl des Stolzes und der Selbstwirksamkeit durch Wertschätzung der Öffentlichkeit.

 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Woche sehr gewinnbringend war und die angestrebten Ziele eines Inklusionsprojekts erreicht wurden: zum einen die aktiv kreative Auseinandersetzung mit dem Thema „Barrierefreiheit“ und zum anderen die Ermöglichung einer chancengleichen Arbeit an einem Medienprodukt. Die Tandems arbeiteten mit Spaß und Motivation zusammen und halfen sich in jeglichen Situationen gegenseitig. Als positiv erwies sich dabei, dass zwei der vier Fußgänger-Tandempartner bereits etwas älter und teilweise sogar bei der Lebenshilfe Koblenz tätig waren. Somit hatten sie bereits einige sonderpädagogische Vorerfahrungen und konnten in verschiedenen Bereichen die Verantwortung übernehmen. In Bezug auf die kognitiven Fa?higkeiten der Teilnehmenden ließen sich aufgrund der gewählten Zielgruppe keine eindeutigen Unterschiede beobachten. Somit konnten auch in Bezug auf die technische Bedienung der Smartphones und Computer alle gema?ß ihrer Handlungsmo?glichkeiten in das Projekt miteinbezogen werden. Die Entscheidung, Beschreibungstexte sprachlich nicht zu vereinheitlichen, wurde ganz bewusst getroffen, um die Authentizität des Schreibstils der Teilnehmenden zu wahren. Der entstandene Web-Blog bietet nicht nur einen Einblick in den Alltag mit und ohne Barrieren sondern fungiert auch als Sprachrohr für persönliche Anliegen und Interessen von Menschen mit und ohne Behinderung, indem er Anreize für politische Entscheidungen zur Neu- bzw. Umgestaltung des Sozialraums Koblenz gibt.

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