Aktive Filmbildung mit Schüler/innen mit und ohne Förderbedarf – Ein Gastbeitrag von Simone Adams-Weggen
Filmbildung findet in der Schule vor allem in Deutsch, Kunst und Musik statt. Vorherrschend ist die rezeptive Filmbildung. Zum Beispiel werden Literaturverfilmungen geschaut und analysiert. Bei der rezeptiven Filmarbeit wird das gemeinschaftliche und bewusste Filmsehen mit einer theoretisch analytischen Auseinandersetzung verbunden (z. B. Beurteilung von Filmkomposition und Dramaturgie etc.). Das Filmerlebnis wird pädagogisch vor- und/oder nachbereitet. Im Rahmen der schulischen Medienbildung wird jedoch die aktive Filmbildung vernachlässigt. Ein Missstand, da insbesondere die aktive Filmbildung Aneignungs- und Reflexionsprozesse durch konstruktives Lernen ermöglichen könnte. Zentral für die aktive Filmarbeit ist das handelnde, experimentierende, schöpferisch-kreative Lernen, da Kinder und Jugendliche unter fachlicher Anleitung das Medium selbst produzieren.
Zielgruppe
10 Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse, teilweise mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus den Bereichen emotionale und soziale Entwicklung und Lernen sowie mit Teilleistungsstörungen (LRS, Dyskalkulie) und Kindern mit den Diagnosen AD(H)S und/oder Autismus sowie Schulverweigerern.
Ziel des Projekts
Angelehnt an Formate wie die „Aktuelle Stunde“ sollte mit der Methode der aktiven Medienarbeit ein Film über Schloss Varenholz von den Schülerinnen und Schülern selbständig gedreht werden. Dabei sollten zum einen Kompetenzen vermittelt werden, die als kultur- und medienpädagogische Bildungsziele definiert sind, hier vor allem Kompetenzen im Bereich der Filmbildung (Maurer, 2010, S. 123), als auch einige der in den Kernlehrplänen für die Realschule am Ende der Jahrgangsstufe 5/6 enthaltenen Kompetenzerwartungen erfüllen (s. Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, Kernlehrpläne für die Realschule in NRW, 2001 und 2004). Daneben sollte dieses Projekt über die Filmarbeit bestimmte Fähigkeiten der Kinder fördern, die wegen ihres individuellen Förderbedarfs weniger stark sind und so den Kindern Erfolgserfahrungen ermöglichen.
Technik
4 Stative, 4 Digitalkameras, 1 Videokamera,1 Beamer, 1 Mikrofon mit Tonangel, 1 Laptop mit Videoschnittprogramm
Durchführung
Um die Kinder innerhalb von drei Projekttagen für das eigenständige Drehen des Filmes am vierten Tag zu befähigen, wurden folgende aufeinander aufbauende Übungen aus der aktiven Medienarbeit angewandt:
- Trickfilme in StopMotion-Technik mit MovieMaker erstellen
- Einführung in den praktischen Umgang mit der Videokamera durch Videofangen
- Standpunkt der Kamera erraten und Erzeugen optischer Täuschungen
- Einführung und Erarbeitung der Kamerafunktionen und der verschiedenen Kameraperspektiven sowie der Einstellungsgrößen
- Probeaufnahmen für die Anmoderation und praktische Übungen zum Interview mit der Kamera sowie eine Einführung in die verschiedenen Frageformen.
Abschließend wurden die Inhalte des Films festgelegt sowie die einzelnen Aufgaben vor und hinter der Kamera für den Drehtag verteilt. Am vierten und letzten Projekttag wurde der Film gedreht. Nach der Postproduktion, welche ohne die Kinder erfolgte, haben die Kinder den Film gemeinsam angesehen und nach einer Kurzbesprechung abgenommen.
Gelingensbedingungen
Aufgrund der Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit, dem gesteigerten Bewegungsdrang und Problemen im Leseverstehen in dieser Gruppe von Schülerinnen und Schülern war es wichtig, textlastige Arbeitsblätter durch praktische und bewegungsreiche Übungen zu ersetzen. Um die Kinder beispielsweise an die Funktion des Zooms und das Einfangen und Verfolgen von bewegten Objekten heranzuführen sowie ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie man den gewünschten Bildausschnitt einfangen kann, wurde eine Videokamera auf einem Stativ befestigt und mit einem Beamer verbunden. Der Beamer projizierte live auf eine Wand des Klassenraumes. Ein Kind stand an der Kamera und war der Fänger und versuchte, während die restliche Gruppe sich durch den Klassenraum bewegte, eine Person durch Zoomen und Kamerabewegungen so in den Bildausschnitt zu bekommen, dass man auf der Wand das Gesicht des Eingefangenen in Großaufnahme sehen konnte. Wenn dies gelang, schlüpfte der Eingefangene in die Rolle des Fängers.
Zum Kennenlernen der Unterscheidungsmerkmale und der Wirkung von Kameraperspektiven erhielt zunächst jeder ein Arbeitsblatt mit den Bezeichnungen der Kameraperspektiven. Dann wurden Videokamera und Beamer verbunden und das Bild an eine Wand des Klassenzimmers projiziert. Die Kinder experimentierten damit, sich in unterschiedlichen Perspektiven zu filmen und deren Wirkung zu beschreiben. Dazu benannte jeder am Anfang, welche Perspektive er auswählen wollte und versuchte diese dann mit Hilfe einer ihm gegenüber stehenden weiteren Person umzusetzen. Die Kontrolle erfolgte für alle sichtbar über die Projektion an der Wand.
In der praktischen Umsetzung konnte erfahrbar gemacht werden, wann welche Kameraposition wozu benutzt wird und wie entscheidend es für Filmemacher ist, welche Kameraperspektive diese wählen. Um die Unterscheidungsmerkmale und Wirkung sowie die Benennung verschiedener Einstellungsgrößen kennen zu lernen, wurde in einer Art Brainstorming zusammengetragen, was jedem spontan beim Hören der Bezeichnung der jeweiligen Einstellungsgröße einfiel. Anschließend wurde sich paarweise zusammengetan und Fotos in den genannten Einstellungsgrößen voneinander gemacht. Diese wurden dann in Passfotogröße ausgedruckt, ausgeschnitten und auf Informationsblätter unter die jeweilige Bezeichnung der Einstellungsgröße geklebt. Bei der Anmoderation, die von einem Mädchen mit LRS übernommen wurde, wurde jeder Satz einzeln und mehrfach aufgenommen. Dies erwies sich für das Kind als richtige Lösung, gestaltete allerdings den Schnitt und die Montage in der Postproduktion etwas schwieriger.
Fazit
Durch die aktive Filmbildung vollziehen die Kinder einen Perspektivwechsel vom passiven Konsumenten zum aktiven Gestalter der Medien. Filmen macht Kindern Spaß und bietet vielfältige Möglichkeiten in der praktischen Medienarbeit mit ihnen. Durch die Umwidmung bzw. Neudefinition von Orten – der Klassenraum wird zum Drehort – wird Schule neu „erlebt“. Umwidmungen von Gegenständen – Süßigkeiten werden zu Trickfilmfiguren – ermöglichen neue und sinnliche Erfahrungen. Die Kinder sind in alle Prozesse eingebunden. Sie gestalten diese aktiv mit und sind kreativ und produktiv. Im Rahmen des Projektes konnten sich Kinder Kompetenzen in verschiedenen Bereichen aneignen. Der Erwerb der Kompetenzen bezog sich einerseits auf den Umgang mit der Funktionsweise der benutzten Geräte, der Produktion von Filmen und der Wirkung der erstellten Beiträge. Im Bereich Sprache wurde durch den kommunikativen Umgang der Kinder in der Gruppe und mit Außenstehenden der Erwerb der Kommunikationskompetenz unterstützt. Ein wichtiger Bestandteil der einzelnen Übungseinheiten ist die Förderung der Wahrnehmung. Fühlen, Anfassen, Berühren und „Begreifen“ ist Wahrnehmung, genauso wie das Erkennen des Verhältnisses der eigenen Person zum Raum (räumliches Erkennen). Durch die Übungseinheit „Optische Täuschung“ wurde die Wahrnehmung im Bereich des räumlichen Erkennens sowie ein ästhetisch prüfendes und vergleichendes Nachdenken der Kinder über die eigene Person unterstützt.
Diese Übung ermöglichte es den Kindern einerseits ästhetische Erfahrungen zu machen, andererseits motivierte der Spaß, den sie bei dieser Übung hatten, zu weiterer Videoarbeit. So konnten die Kinder hier spontan „unter“ der Kamera agieren. Die Übung zeigt, dass sie besonders auch für zurückhaltende Kinder geeignet ist. Diese können genauso wie ihre forscher auftretenden Mitschülerinnen und Mitschüler optische Entdeckungen an der Wand machen. So wird auf spielerische Art und Weise die Wahrnehmung geschult sowie die Relation von eigener Position im Raum und deren Wirkung (Wo bin ich und wie sieht das aus?). Die Wahrnehmung der Raumlage, welche das Erkennen der Lagebeziehung eines Gegenstandes zur wahrnehmenden Person ist (das Kind muss erkennen, wo z.B. die eigene rechte Hand auf der Projektion ist, die es in ihrer Lage zu verändern gilt), wird mit dieser Übung gefördert. Eine Störung dieser Wahrnehmung ist bei Kindern häufig anzutreffen und zeichnet sich im späteren Verlauf durch deutliche Defizite im Umgang mit Mengen, Zahlen und Rechenoperationen (Rechenschwäche oder Dyskalkulie) aus. „Wir sind Varenholz!“ war Endrundenteilnehmer des Kinder zum Olymp!-Wettbewerbs „Schulen kooperieren mit Kultur“ 2012/2013 der Kulturstiftung der Länder. Weitere umfangreiche Infos zu „Wir sind Varenholz!“ finden Sie hier.
Literatur
- Maurer, B. (2010). Schulische Filmbildung in der Praxis. Ein Curriculum für die aktive und rezeptive Filmarbeit in der Sekundarstufe I. München: kopaed.
- Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. (2001). Richtlinien und Lehrpläne für die Realschule in NRW/Sport. Abgerufen von www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de
- Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. (2004). Kernlehrplan für die Realschule in NRW/Deutsch. Abgerufen von www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de
- Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. (2004). Kernlehrplan für die Realschule in NRW/Mathematik. Abgerufen von www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de
- Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. (2011). Kernlehrplan für die Realschule in NRW/Politik. Abgerufen von www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de