Kinderhand, die auf Taster drückt

Thememonat 3 +++ Computerspiele und assistive Technologien

Spielend lernen und sensibilisieren

Computerspiele sind allseits beliebt und massenhaft verbreitet. Der Gedanke, die Motivation für Computerspiele in Motivation fürs Lernen umzumünzen und Computerspiele in Bildungskontexten einzusetzen, liegt also sehr nah. In diesem Beitrag sollen einige ausgewählte Spiele vorgestellt werden, mit denen Kinder und Jugendliche an Themen wie Behinderung und Inklusion, aber auch Flucht und Migration herangeführt werden können bzw. die für bestimmte Aspekte einer Behinderung sensibilisieren.

Ob „Serious Game“ oder „Digital Based Learning“ – es gibt viele Ansätze und Schlagworte, um zu beschreiben, wie sich Computerspiele für das Lernen nutzbar machen lassen. Ein klassisches Serious Game ist zum Beispiel das Lernspiel „Winterfest“: hier werden konkrete Lerninhalte – in diesem Fall Lesen, Schreiben und Rechnen – in ein spielerisches Setting eingebettet, das dazu motivieren soll, sich mit diesen Lerninhalten auseinanderzusetzen. „Winterfest“ wurde für funktionale Analphabeten entwickelt. Geschichte und Grafik erinnern an klassische Adventure, Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen werden durch verschiedene Aufgaben, Minispiele und Rätsel in Verbindung mit Alltags- und Berufssituationen trainiert. „Winterfest“ wurde im BMBF-geförderten Forschungsprojekt „Alphabit“ entwickelt. Ergänzend zum Spiel gibt es didaktische Materialien, die Lehr- und Lernmöglichkeiten für Grundbildungskurse vorstellt. „Winterfest“ hat 2011 den Serious Games Award gewonnen. Spiel und Materialien können kostenlos heruntergeladen werden. Digital Game-based Learning nutzt „normale“ Computerspiele, um bestimmte Themen zu verhandeln. Zum Beispiel lässt sich das allseits beliebte und bekannte Minecraft dazu nutzen, um sich mit Themen wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Barrierefreiheit auseinanderzusetzen. Kreative Beispiele wurden dafür für den Minecraft-Wettbewerb „Die faire Stadt der Zukunft“ entworfen. 

Im preisgekrönten Spiel „Papers, Please“ schlüpft man in einem fiktiven totalitären Staat in die Rolle eines Grenzkontrolleurs und entscheidet: wer darf einreisen, wer nicht? Die Kriterien erscheinen wahllos und ändern sich ständig, falsche Entscheidungen führen zu eigenen Nachteilen…Das Spiel macht gut erfahrbar, wie unter bestimmten Konstellationen Kriterien wie Menschlichkeit nicht mehr zählen und kann daher für eine Annäherung an aktuelle Themen wie die Flüchtlingskrise gut eingesetzt werden. Im Beitrag „Computerspiele zum Thema Flucht und Asyl“ von Nicolas Löffler (Erstveröffentlichung auf jff.de) werden einige weitere Spiele rund ums Thema vorgestellt: „Syrian Journey“ (eine von der BBC entwickelte, illustrierte Text-Geschichte, in der die Spieler Entscheidungen treffen müssen, die an die Realität von Flüchtlingen angelehnt sind), „The Migrant Trail“ (in der Grenzregion Mexiko – Arizona entweder als Illegaler die Einreise versuchen oder als Grenzbeamter diese verhindern), „Last Exit Flucht“ (Spiel des UN-Flüchtlingswerks von 2006, das die Strapazen einer Flucht vermittelt), „Cloud Chasers“ (im fantastischen Szenario einer postapokalyptischen Welt flieht ein Farmer mit seiner Tochter durchs Ödland, in der  Hoffnung auf eine bessere Zukunft), „Frontiers“ (dreidimensional designtes Multiplayer-Spiel, das die Fluchtthematik aufgreift: Man agiert entweder als afrikanischer Flüchtling oder als europäischer Grenzbeamter), „Escape from Woomera“ (Fluchtversuch eines iranisches Flüchtlings aus dem – realen – australischen Internierungslager Woomera), „From Darkness“ (Darstellung verschiedener Lebenssituationen von Menschen in Afrika, nur ein Demolevel verfügbar) und „Smuggle Truck“ (kindlich designtes Spiel, als „Menschenschmuggler“ keine Menschen von der Ladefläche eines LKWs verlieren.

Inklusions-Scout André Naujoks, der sowohl mit geflüchteten Jugendlichen arbeitet, als auch Computerspiele in seiner medienpädagogischen Arbeit einsetzt, hält einige der oben erwähnten Spiele für geeignet, um – ältere! – Jugendliche, an die Thematik heranzuführen. Jugendliche mit Fluchthintergrund dagegen seien nicht die Zielgruppe dieser Spiele, da viel mehr damit beschäftigt, sich im neuen Leben zu orientieren. „Das Spiel „Smuggle Truck“ habe ich in meinen Medienworkshops, in denen auch gespielt wird, verboten. Es gibt davon ähnliche Ableger im Bereich Browsergames und das Menschen vom Wagen fallen und blutend ihre Körperteile verlieren finde ich nicht lustig und kaum geeignet Fluchtprobleme aufzuzeigen. (Allerdings fließt im Original-Game kein Blut).“

Die Spiele-App „The Unstoppables“ wurde explizit entwickelt (von der Schweizer Stiftung Cerebral), um für das Thema „Vielfalt“ zu sensibilisieren: Tofu, der Blindenhund von Melissa, wird entführt,  die vier Freunde Mai, Jan, Achim und Melissa müssen ihn aus den Händen des Bösewichts befreien – und das klappt nur, wenn sie ihre unterschiedlichen, sehr verschiedenen Fähigkeiten einbringen und viele Aufgaben und Rätsel lösen… Das Spiele ist schön designt, werbefrei und als Gratis-App für iPad und Android erhältlich, ergänzendes Material kann (kostenpflichtig) beim Lernmittelverlag St. Gallen bestellt werden. SiGame ist weniger ein Computerspiel, als eine Lernapp, die schön designt und spielerisch die Grundlagen der Gebärdensprache vermittelt. Die App ist gratis für iOS und Android verfügbar. „Extreme Wheelchairing“ ist eine Spiele-App ( für iOS, Android und Windows, mit Werbung kostenfrei), in der man als Wheelchair-Skater Rampen und Hindernisse überwinden muss: Erwähnenswert ist vor allem, dass auch mal ein Protagonist im Rollstuhl spielbar ist, was immer noch Seltenheitswert hat. Einen App-Test gibt’s bei Aktion Mensch. Auf der Jugendseite von Handicap-International kann man sich ebenfalls spielerisch dem Thema Behinderung nähern, z. B. bei einem Lippenlese-Spiel oder beim Lernen der Braille-Schrift. Vor allem das Lippenlese-Spiel ist gut geeignet, um dafür zu sensibilisieren, wieviel Konzentration und geistige Anstrengung notwendig ist. um von den Lippen zu lesen und macht so die Situation von Hörbehinderten verstehbarer.

Computerspiele sind stark visuell ausgerichtet. Auch wenn Sound und Musik in einigen Spielen eine wichtige Rolle „spielt“: Die meisten Games lassen sich auch ohne Gehör spielen. Sehr viel schwieriger ist es umgekehrt: Spielen nur nach Gehör. Audio-Games kommen daher für blinde Gamer – ja, die gibt es! – eine besondere Bedeutung bei. Die Spiele-App MouseKick (für iOS) des blinden Programmiers Jan Blüher kann sowohl sehend als auch nur nach Gehör gespielt werden und eignet sich so zum einen sehr gut für den inklusiven Einsatz, zum anderen auch, um sich in die Spiele-Wahrnehmung von blinden Menschen hineinzuversetzen. Weitere Informationen zum Thema AudioGames gibt es in den Beiträgen Spiele fürs Ohr: Das inklusive Potenzial von Audio-Games von Domingos de Oliveira und Audiogames – Spiele ohne Barrieren von Sarah Pützner. Eine umfangreiche Liste mit Audiospielen gibt es auf der (englischsprachigen) Seite Audiogames.net.

Link-Tipps

zusammengestellt von Carola Werning