Umsetzungsmöglichkeiten von inklusiven Medienprojekten. Gastbeitrag von Melanie Schaumburg
Seit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonventionen und der damit verbundenen Inklusionsdebatte in Deutschland hat auch die Medienpädagogik das Thema für sich entdeckt. Viele inklusive Projekte und Initiativen werden bereits umgesetzt, um Kindern und Jugendlichen in inklusiven Settings Medienkompetenz zu vermitteln. Eine bedeutende Funktion zur Vermittlung von Medienkompetenz wird in der Medienpädagogik der Methode der aktiven Medienarbeit zugeschrieben. Diese Projektmethode schafft gemeinsame Lerngelegenheiten sowie Begegnungen, um miteinander und voneinander zu lernen (Heimlich, 1999). In der Sonderpädagogik hat die Projektmethode schon lange Tradition, daher ist sie auch für die inklusive Arbeit in besonderem Maße geeignet. Projekte der aktiven Medienarbeit ermöglichen, dass alle Kinder, ob mit oder ohne Förderschwerpunkt, sich daran beteiligen können. Es werden selbst gesteuerte und soziale Lernprozesse initiiert und Medienkompetenz vermittelt.
Projekte, in denen Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung beteiligt sind, stellen Medienpädagogen aber häufig noch vor besondere Herausforderungen. Während sich der Umgang mit der Foto- oder Videokamera oft noch problemlos gestaltet, wird der Teil der Nachbearbeitung häufig ausgeklammert. Der Filmschnitt wird dann von Teilnehmern ohne Einschränkungen oder gar von den Medienpädagogen selbst übernommen. Dies bedeutet allerdings, dass ein wesentlicher Bestandteil von Medienprojekten für Menschen mit geistiger Behinderung verschlossen bleibt und ihnen Erfahrungen und Kompetenzen über beispielsweise Manipulationsmöglichkeiten oder einfach die Bedienung des Computers vorenthalten werden.
Aber gerade die Nachbereitung von Videos, Hörspielen etc. spielt in der medienpädagogischen Projektarbeit eine wesentliche Rolle, daher sollten auch Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten daran beteiligt werden. Sie sollten dabei so gut wie möglich unterstützt, aber in ihrer Kreativität auch so wenig wie möglich beeinflusst werden. Hierfür ist ein hohes Maß an Feingefühl und Sensibilität nötig. Ziel ist es, die richtige Balance zwischen sinnvoller Hilfestellung und Selbstbestimmtheit herzustellen. Die Teilnehmer mit einer geistigen Behinderung eines Medienprojekts sollen selbst ihre Vorstellungen und kreativen Ideen mit Hilfe von Assistenz umsetzen können. Für Menschen mit geistiger Behinderung, die selten bis nie an einem PC sitzen, geschweige denn ein Filmschnittprogramm oder Bildbearbeitungsprogramm verwenden, kann es zu Beginn schwierig sein, klare Ideen zu formulieren, ohne die Grundfunktionen zu kennen bzw. zu wissen, was überhaupt möglich ist. Die gesamte Gestaltung stellt also einen Prozess dar, bei dem der Pädagoge eine Doppelrolle inne hat.
Er ist zum einen der Experte, der das umfassende technische Wissen hat, um einen Film zu schneiden oder ein Bild digital zu bearbeiten. Zum anderen muss er dem Projektteilnehmer assistieren, indem er seine kreativen Ideen auffasst und diese dann technisch umsetzt. Experte und Projektteilnehmer sind Bestandteil eines Interaktions-Systems. Beide stehen in ständiger Kommunikation zueinander, verbal und auch nonverbal. Als medienpädagogischer Assistent muss man für alle Äußerungen offen und sensibel sein, insbesondere weil sich Ideen und Wünsche des Nutzers während des Gestaltungsprozesses ändern oder auch erst entwickeln können (Gekeler & Mairhofer, 2003; Schaumburg, 2010). Der Experte ist also nicht jemand der alles weiß und kann, er muss vielmehr Hypothesen zur Gestaltungsidee des Teilnehmers bilden und aufgrund dessen seine Hilfe anbieten, ohne ihn in seiner kreativen Gestaltung zu beeinflussen.
Ein Beispiel
Während eines Comic-Projekts möchte ein Nutzer mit Hilfe der Software ComicLife seine zuvor gemachten Fotos so bearbeiten, dass diese aussehen, wie gezeichnet. Die Software selbst bietet für diesen Zweck eine Vielzahl an Filtern an. Der Experte zeigt dem Teilnehmer nun, welche Auswirkungen verschiedene Filter auf sein Bild haben. Er bietet ihm verschiedene Filter an und fragt nach der Zufriedenheit des Teilnehmers. Dabei bietet er aber auch umfänglich die Gelegenheit, dass der Teilnehmer die Filter selbst bestimmen kann. Immer wieder wird nachgefragt, ob das Foto so bleiben oder noch ein weiterer Filter ausprobiert werden soll. Darüber hinaus wird dem Teilnehmer auch die Gelegenheit gegeben, selbst Filter auf das eigene Foto zu legen. Durch die Methode der leicht zurückweisbaren Angebote kann der Experte dem Teilnehmer assistieren und ihm dabei auch Lernmöglichkeiten eröffnen.
Der Experte muss bei der Auswahl von Angeboten sehr behutsam vorgehen und auch immer die Interessen des Nutzers berücksichtigen (Schaumburg, 2010). Ziel sollte es immer sein, Menschen mit geistiger Behinderung bei der Umsetzung eines Medienprojekts nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu unterstützen, ohne persönliche ästhetische Empfindungen und Befindlichkeiten einfließen zu lassen. Gestaltungsideen genauso wie Entwicklungspotentiale müssen vom Experten erfasst werden, um die nächsten Entwicklungsschritte in Form von Angeboten zu unterstützen. Diese Angebote können selbstverständlich auch an den Interessen des Nutzers vorbeigehen und von diesem dann leicht zurückgewiesen werden. Es ist dann Aufgabe des Experten die Angebote zu korrigieren.
Der Lernprozess ist dadurch mit dem Gestaltungs- und Produktionsprozess verknüpft. Während des Prozesses kann sich der Teilnehmer vielfältige Angebote in seinem Interesse unterbreiten lassen, diese annehmen oder ablehnen. Auf diese Weise bestimmt der Nutzer seinen eigenen Lernprozess sowie die Inhalte des Lernens und er erlebt seine eigene Gestaltungsfähigkeit. Die Methode der leicht zurückweisbaren Angebote beinhaltet „aus sich selbst heraus keine Garantie für selbstbestimmtes Lernen, aber sie stellt einen Ansatz für die Entwicklung einer verantwortbaren pädagogischen Routine dar“ (Gekeler & Mairhofer; S: 278f).
Die Projektmethode sowie die Methode der leicht zurückweisbaren Angebote bilden zusammen eine mögliche Grundlage für die Umsetzung medienpädagogischer Projekte für Menschen mit geistiger Behinderung.
Literatur
- Heimlich, Ulrich (1999): Gemeinsam lernen in Projekten. Bausteine für eine integrationsfähige Schule. Bad Heilbrunn/Obb: Klinkhardt
- Gekeler, Gert &. Mairhofer Andreas (2003): Computerkunst mit geistig behinderten Menschen. Selbstbestimmtes Lernen trotz Unterstützung. In: Theo Lamers & Wolfgang Klauß (Hrsg.): Alle Kinder alles lehren… Grundlagen der Pädagogik für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. Heidelberg: Univ.-Verl. Winter (Heidelberger Texte zur Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung, 3), S. 271–283
- Schaumburg, Melanie (2010): Medienpädagogische Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung. In: Heilpädagogik Online. Die Fachzeitschrift im Internet (1), S. 5–19. Online verfügbar unter https://www.sonderpaedagoge.de/hpo/heilpaedagogik_online_0110.pdf