Melanie Schaumburg: Der Kern der Sache – Was ist inklusive Medienarbeit?
In ihrer Session will Melanie Schaumburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Oldenburg, dem Kern der Sache auf dem Grund gehen: Was ist eigentlich inklusive Medienarbeit? Der Begriff ist schillernd und wird vielfältig verwendet:
Versteht man darunter primär das gemeinsame Lernen in Projekten – wie zum Beispiel in den im Rahmen von Nimm! on tour durchgeführten Jugendmedienworkshops? Oder fallen darunter auch alle Aktivitäten, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderung an der Mediengesellschaft partizipieren können. Zum Beispiel inklusive Medienkampagnen, die auf eine verbesserte Wahrnehmbarkeit von Menschen mit Behinderung und ihren Bedarfen in der (Medien-) Öffentlichkeit abzielen und wie sie beispielsweise der Verein Sozialhelden e.V. mit seinen Projekten erreichen will oder die Aktion Mensch mit ihren Kampagnen? Oder alle Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderung (digitale) Medien nutzen können, wie barrierefreie Programmierung oder die barrierefreie Gestaltung von Medienprodukten durch zum Beispiel Untertitel und Audiodeskription. Fallen auch zielgruppenspezifische, streng genommen „exklusive“ Angebote, wie zum Beispiel Angebote für geflüchtete Jugendliche oder Angebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten unter dieses Label? Und wenn man Inklusion nicht nur auf Menschen mit Behinderung bezieht, sondern von einem weiten Inklusionsbegriff ausgeht: Wo wäre dann die Abgrenzung zum Beispiel zur interkulturellen Medienarbeit?
Die Session-Teilnehmenden tragen zunächst zusammen, was der Inklusionsbegriff für sie beinhaltet: Einigkeit besteht darin, dass es sowohl inklusive Angebote für alle wie auch zielgruppenspezifische Angebote geben müsse. Wichtig ist, dass jede Person auswählen kann, was sie machen möchte – dass sie überhaupt eine Wahlmöglichkeit hat! Für Dorothea Schui, verantwortlich für die Kinder- und Jugendarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde Herzogenrath, bedeutet Inklusion, dass auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung ganz selbstverständlich ihre Angebote nutzen können. In den vergangenen Jahren wurde die Erfahrung gemacht, dass dies eben nicht als selbstverständlich wahrgenommen wird, sondern dass man klarer kommunizieren muss, dass auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung willkommen sind. Erst die ausdrückliche Ausschreibung von Projekten als „inklusiv“ habe geholfen, die Zielgruppe zu erreichen. Ein wichtiges Element der Zielgruppenansprache ist dabei die Verwendung von Einfacher bzw. Leichter Sprache.
Für einige dagegen ist es überraschend, dass man plötzlich den Begriff „Inklusion“ herausstellen soll, um das zu kommunizieren, was man selbstverständlich sowieso mache – ähnlich wie jetzt auf Produkten „vegan“ stehe, die es sowieso schon immer waren. Letztlich helfe das Label „inklusiv“ aber auch, um an Fördermittel für Angebote zu gelangen. Diskutiert wird der Fall, dass eine Schule die Zusammenarbeit mit einer Jugendeinrichtung beendet habe, trotz jahrelanger guter Zusammenarbeit, weil die Schule das Label „inklusiv“ auf der Webseite der Jugendeinrichtung vermisste. Ist es vielleicht eine Alternative, Begriffe wie Vielfalt oder Diversität als Ersatz zum Inklusionsbegriff zu nutzen?
Was ist überhaupt der Unterschied zwischen einem Projekt mit und ohne Inklusion? Die pädagogische Grundstruktur ist ähnlich, den Unterschied machen unterstützende Maßnahmen aus, da die personenbezogenen Bedarfe anders sein können: Einige brauchen vielleicht technische Hilfsmittel, andere einfach „nur“ mehr Unterstützung, andere bestimmte Aufgaben, die sie zu lösen in der Lage sind. Als Beispiel wurde ein Filmprojekt genannt, bei dem sich herausstellte, dass bestimmten Teilnehmenden zusätzliche Aufgaben aufgetragen werden mussten, Teilprojekte im großen Projekt sehr sinnvoll waren. Nicht zuletzt sollte man eine ausgewogene Balance zwischen Produkt- und Prozessorientierung bedenken: Man selbst habe vor allem das Produkt (den Film) im Kopf gehabt, während für die Kinder der monatelange Kulissenbau viel wichtiger war! Medienkritische Aspekte lassen sich (nicht nur) in inklusiven Projekten gut beiläufig und indirekt thematisieren, zum Beispiel wenn man diskutiert, ob es in Ordnung ist, ein bestimmtes Bild bei Facebook hochzuladen oder nicht.
Es sei wichtig, realistisch einzuschätzen, was man selbst und die Einrichtung schaffen könne. Gut ist es auf jeden Fall sich Partner ins Boot zu holen, die schon länger mit Menschen mit Behinderung arbeiten. Inklusive Zusammenarbeit braucht Zeit, Geduld und auch Mühe. Aber allen Problemen oder sogar der Behauptung eines Scheiterns zum Trotz: Inklusion geht ihren Weg, viele Dinge sind selbstverständlich(er) geworden.