KAMERA INKLUSIV Sächsische Medienagentur von Menschen mit Behinderung i.G. – Authentisch, klischeefrei und schnörkellos
von: Marcel Bärthel, Zwickau (Rollstuhlfahrer); Katrin Böhm, Crimmitschau (Rollstuhlfahrerin); Dietmar Mehnert, Zwickau (blind); Manuela Nestler, Flöha, (sehbehindert); Falk Spindler, Oschatz (Rollstuhlfahrer)
Ob in der Zeitung, im Radio oder im Fernsehen: über uns als Menschen mit Behinderung wird oft auf eine Art und Weise geschrieben und gesprochen, die mit unserer eigenen Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun hat. Wahlweise werden wir zu Opfern gemacht oder zu Helden stilisiert. Entweder soll man uns bedauern oder bewundern.
Dabei wollen wir von der Öffentlichkeit als Leute wahrgenommen werden, die ganz normale Vorstellungen vom Leben haben. Schon Anfang 2013 haben wir uns deshalb entschlossen, eine eigene Medienagentur zu gründen. Wir wollen Redakteuren und Journalisten Texte, Fotos, Ton- oder Videoaufnahmen anbieten, die direkt von Menschen mit Behinderung stammen. Dafür brauchen wir zunächst einmal Autoren mit Behinderung, die ihre Texte, Fotos, Ton- oder Videoaufnahmen über unsere Medienagentur anbieten wollen. Uns ist klar, dass diese Autoren nicht einfach vom Himmel fallen. Sie müssen uns erst einmal finden und dann noch das nötige Handwerkszeug lernen. Denn es reicht nicht, schreiben, fotografieren oder filmen zu wollen: Man muss es auch können! Nach einigem Suchen haben wir einen Projektleiter gefunden, der sich im Förderdschungel auskennt und können bereits einen ersten Erfolg vermelden: Die sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (kurz: SLM) hat sich zu unserer Freude bereit erklärt, uns bei der Vorbereitung dieser Medienagentur zu unterstützen. Sie finanziert in der Zeit von November 2013 bis Juni 2014 für jeden interessierten Autor / jede interessierte Autorin mit Behinderung, die sich bei uns meldet, bis zu drei Kurse zu den Themen kreatives Schreiben, Journalismus, Audio- bzw. Videoproduktion.
Das Kurs-Projekt in Kürze
von Martin Killat, Zwickau (Projektleitung)
Im medialen Diskurs um eine inklusive Gesellschaft wird gewöhnlich über Menschen mit Behinderung gesprochen. Sofern sie sich in einzelne Formate integrieren lassen, wird auch hin und wieder mit ihnen gesprochen. Betroffene selbst haben jedoch höchst selten Gelegenheit, ihr eigenes Selbstbild medial wirksam zu kommunizieren und als Individuen mit ganz normalen Ansprüchen ans Leben wahrgenommen zu werden.
Innerhalb der Projektlaufzeit (November 2013 bis Juni 2014) sollen ca. 20 behinderte Teilnehmer dazu befähigt und ermutigt werden, sich einem landesweiten Team aus behinderten und nichtbehinderten Redaktionsmitgliedern anzuschließen. Unter dem Namen „Kamera Inklusiv“ will diese Redaktion ab Juni 2014 als inklusive Presseagentur existierenden Verlagen aktuelle, authentische und persönliche Beiträge von Menschen mit Behinderung zur Veröffentlichung anbieten.
Die Projektträgerschaft hat mit dem christlichen Körperbehindertenverband Sachsen e.V. ein Selbsthilfe-Verband übernommen, in dem von Behinderung betroffene Menschen informell sehr gut vernetzt und dessen Aktivitäten inhaltlich/methodisch schon seit mehr als zwei Jahrzehnten von den Mitgliedern selbst gestaltet werden. Zielgruppen des Projekts sind Jugendliche & Erwachsene mit Körper- oder Sinnesbehinderung sowie Jugendliche & Erwachsene ohne Behinderung mit ihren jeweils spezifischen, journalistischen Ambitionen.
Die Gewinnung von Teilnehmer_innen mit Behinderung erfolgte innerhalb der eigenen Verbandsstruktur und in Zusammenarbeit mit kooperierenden Initiativen, die über aussagefähige Kontaktlisten zu Betroffenen verfügen. Zusätzlich wurden den existierenden Publikationen von Einrichtungen der Behindertenhilfe wie Wohnheimen, Werkstätten und ambulanten Diensten eine druckbare Anzeigenvorlage und ein redaktioneller Artikel zur Verfügung gestellt, der die Intention der geplanten Kurse transportiert und zur Bewerbung aufruft. Die Teilnehmer_innen ohne Behinderung wurden mittels persönlicher Ansprache aus dem redaktionellen Umfeld der oben erwähnten Publikationen gewonnen. Bei dieser Auswahl stand die soziale Kompetenz der Bewerber im Vordergrund. Als medienpädagogische Zielstellung sollen die Teilnehmer_innen lernen,
- welche Stilmittel, Formate genutzt bzw. welche Qualitätskriterien erreicht werden müssen um eine authentische Gegenöffentlichkeit herstellen und eigene Anliegen medial wirksam präsentieren zu können,
- ihr eigenes Selbstbild und ihre behinderungsspezifische Perspektive auf das gesellschaftliche Umfeld authentisch darzustellen und in stilistisch einprägsamer Weise öffentlich zu machen.
In methodischer Hinsicht wird während des Projekts nach handlungsorientierten medienpädagogischen Prinzipien der journalistischen Tradition* gearbeitet. Im Gruppenprozess entwickeln sich dabei kollaborative Lernformen, bei denen mehrere Teilnehmer gemeinsam an einem Produkt arbeiten, sich austauschen und einander ergänzen. Die Teilnehmer_innen entdecken, dass sie (trotz ihrer Behinderung) selbst journalistisch aktiv werden können und müssen, wenn sie mehr Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft genießen wollen. Sie machen die Erfahrung, dass sie in der Öffentlichkeit gerade dann wahrgenommen werden, wenn ihre Meinungsäußerungen ungeschminkt und authentisch sind. Nach dem Prinzip des Peer-Counseling eröffnen sie sich offensiv Kommunikationswege zu „gleich Betroffenen“ und erhalten von diesen Feedback. Letztlich wird ihnen die Erfahrung vermittelt, dass sie mit ihren Produkten (Artikel, Fotos, Podcasts) im gesellschaftlichen Diskurs zu problematischen Themen wirksam Stellung beziehen können.
Zu diesem Zweck werden für Gruppen von jeweils 5 – 10 Teilnehmer_innen 13 eintägige Kurse in leichter Sprache durchgeführt, an denen die Teilnehmer je nach bevorzugtem Genre auch mehrfach teilnehmen können.
- Kurs I: kreatives Schreiben, Grundlagen Dramaturgie & Interviewtechniken
- Kurs II: Recherchemethoden, Script- bzw. Drehbucherstellung
- Kurs III: Grundlagen Audioproduktion
- Kurs IV: Grundlagen Videoproduktion
Je nach Inanspruchnahme werden die einzelnen Kurse mehrmals angeboten und regional so zusammengefasst, dass der Fahrtaufwand für die Teilnehmer_innen so gering wie möglich bleibt (Bautzen, Chemnitz & Leipzig). Zwischen den Kursen arbeiten die Teilnehmer_innen in Kleingruppen an individuellen Beiträgen weiter. Dabei erhalten sie von den Referenten Support zu Sachfragen und regelmäßige Supervisionsangebote von der Projektleitung zu evtl. hemmenden Umständen oder fehlenden Ressourcen. Besonders in Hinblick auf die beabsichtigte Weiterarbeit der Redaktion nach Abschluss der Förderperiode wird dabei nach dem Prinzip der Niederlagenlosigkeit interagiert. Jede Kleingruppe sollte am Ende des Projekts mindestens zwei Beiträge erarbeitet und umgesetzt haben. Das Supervisionsangebot soll die Teilnehmer_innen auf eine selbstmotivierte, langfristige Mitarbeit in der Redaktion „KAMERA INKLUSIV“ nach dem Ende der gegenwärtigen Förderperiode vorbereiten.
*F.-J.Röll, „Methoden der Medienpädagogik“, 2008