Gemeinsam Spielen auf dem Blindenfußballplatz
Inklusion steht mittlerweile glücklicherweise auf vielen Tagesordnungen und Aktionsplänen. Mehr als das geduldige Papier braucht Inklusion jedoch die lebendige Begegnung und Teilhabe. Was liegt da näher als die gemeinsame Aktion? Erleben verbindet, sagt man, und auf welchem Fleck der Erde auch immer – nichts integriert mehr, nichts schlägt stabilere Brücken zwischen Generationen, Religionen und nicht zuletzt Menschen als Fußball. Genau so funktioniert die Begegnung zwischen Blinden und Sehenden auf dem Fußballfeld: Blindenfußball funktioniert nur mit blinden, sehbehinderten und sehenden Sportlern im Ensemble: Inklusion ist hier ein sportlich-spielerisches Muss und gegenseitige Achtung neben Toren das Ergebnis.
Die ersten Paralympischen Spiele fanden 1960 nach den Olympischen Spielen in Rom statt. Lange Zeit hatte die Trennung der Veranstaltungen auch zur Folge, dass die Paralympics medial und gesellschaftlich ein Schattendasein im strahlenden Antlitz des olympischen Bruders führten. Seit Peking 2008 ist dies anders. Zeitlich fast parallel brach die UN-Behindertenrechtskonvention den stillschweigenden gesellschaftlichen Bann, der Menschen mit Behinderung mit der unausgesprochenen Gleichung „behindert gleich defizitär“ in eine eigene Lebenswelt verwies. Zwar finden die Olympics und die Paralympics immer noch zeitlich versetzt statt. Aber der Sport hat sein Potenzial als Inklusionsmotor bewiesen und mehr und mehr kommt die Maschine auf Touren.
„Spitzensport trotz Handicap“ titeln dennoch viele Artikel wenig fachkundiger Berichterstatter. Dieser Beitrag soll für den Blindenfußball aufzeigen, wie der Sport ein Zündfunke für Inklusion durch Begegnung sein kann und dass aus dem „trotz“ ein „aufgrund“ werden muss.
Inklusion: von Papiertüten zum Torguide
Inklusion bedeutet, niemanden von einer bestimmten Tätigkeit auszuschließen. Es braucht also ein Setting, in dem alle Beteiligten gefordert und gefördert werden. Inklusion ist eben gerade nicht ein Absinken von Standards oder ein Gleichmachen auf Biegen und Brechen, sondern ein Ansatz, der das Individuum in den Vordergrund stellt und die zugegebener Maßen sehr schwierige aber lohnenswerte Frage beantwortet, wie man all der gebotenen Diversität gerecht werden kann.
In Brasilien, dem Mutterland des Blindenfußballs, lag die Antwort erst einmal auf der Straße – in Form von Papiertüten. Diese banden die Straßenfußballer um ihr geliebtes Spielgerät und schon waren die Blinden dank der raschelnden Geräusche zu Mitspielern geworden.
Heute sind es kleine Rasseln, die den Ball für blinde Sportlerinnen und Sportler spielbar machen. Banden an den Längsseiten der Spielfelder, die bei den Paralympics und auch in der Deutschen Blindenfußball Bundesliga DBFL dieselben Maße haben, geben den Kickern die notwendige Grundorientierung. Allerdings wäre ein präziser Torschuss oder Abwurf in die Füße des Stürmers kaum möglich, wenn der Blindenfußball nicht auch sehende Mitspieler hätte. In jeder Aufstellung stehen neben vier blinden Feldspielern also auch gleich drei sehende Spieler: der Torwart, der Trainer an der Seitenbande sowie der Torguide hinter dem gegnerischen Tor. Jeder sehende Mitspieler hat seine Zone auf dem Feld. Der Torwart muss nicht nur den Kasten sauber halten, sondern dirigiert auch die eigene Abwehr. Im Mitteldrittel unterstützt der Trainer seine Spieler und ganz vorne ruft der Torguide seinen Stürmer zum Torerfolg.
Blindes Verständnis im Spiel
Ein gutes Blindenfußballspiel lebt, wie so vieles im Leben, von der Kommunikation. Zu viel Geschrei macht die Abwehr konfus und ungenaue Informationen lassen den Stürmer auf die Eckfahne zielen. Neben den Künsten am Ball ist das gemeinsame Spiel zwischen Blinden und Sehenden der Schlüssel zum Erfolg. Über das blinde Verständnis im Team hinaus, erfahren besonders die blinden Kicker eine neue Art der Interaktion mit sehenden Menschen. Das Vertrauen, das ein Blindenfußballer der Stimme eines anderen schenken muss, um im freien Raum einem Ball hinterher zu jagen, ist für beide Seiten eine positive Erfahrung. Torhüter, Guides und Trainer sind nach anfänglichen Unsicherheiten oft nicht nur Teil des Spiels, sondern entwickeln eigene Erfolgsstrategien, verbessern ihre Abwürfe oder das Rufen gemeinsam mit den Feldspielern oder feilen an der taktischen Aufstellung. Die Grenze zwischen Sehenden und Blinden ist zwischen An- und Abpfiff vergessen, da jeder seinen Fähigkeiten entsprechend am Spiel teilnimmt. Das Setting auf dem Rasen bietet jedem seine persönliche Teilnahme, fordert das Individuum wie das Team und fördert nicht zuletzt eine Gemeinschaft, die in Deutschland jeder nach der Weltmeisterschaft 2006 kennen und schätzen gelernt haben könnte.
All inklusive auch neben dem Fußballplatz
Jenseits des Platzes und der Frage nach Leistung und Spitzensport kann der Blindenfußball besonders dann inklusiv wirken, wenn er als Breitensport angelegt in der Gesellschaft bekannter wird und einer breiten Öffentlichkeit die Begegnung mit blinden Menschen in einem völlig neuen Umfeld ermöglicht. An dieser Stelle sei noch einmal auf die UN-Behindertenrechtskonvention verwiesen, die als ein wesentliches Ziel auch die Veränderung des Images von Menschen mit Behinderung benennt. Der Transfer weg von einer defizitären und fürsorgebedürftigen Wahrnehmung hin zur Anerkennung selbstbestimmt agierender Menschen, die auf unterschiedliche Art eingeschränkt sind, ist für Viele ein großer Sprung. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass viele gehandicapte Menschen in der Gesellschaft unsichtbar bleiben. Hinzu kommen noch Berührungsängste: Die Frage was könnte ich Falsches sagen oder machen verhindert dann oft eine Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Handicap. Nicht nur Menschen ohne Behinderung sondern auch behinderte Menschen stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Begegnung, Austausch und gegenseitiges Verständnis werden so oft unmöglich und Barrieren in den Köpfen bleiben bestehen.
Das aktive, selbstbewusste und im Team agierende Bild eines blinden Menschen kann allerdings die Barrieren der Zurückhaltung verflachen und so Begegnungen möglich machen. Es mag zwar basal wirken, zu einem Tor zu gratulieren, über Taktik und Fußballschuhe zu sprechen oder gar über Gott und den Weltfußball zu philosophieren. Aber genau hier kann das Fundament für eine inklusive Gesellschaft gründen, die Perspektive des anderen verstanden werden oder auch mal selbst mit einer Dunkelbrille für einige Momente erblindet gegen den Ball getreten werden. Sport und ganz besonders Fußball sind Orte der Begegnung zwischen Menschen unterschiedlichster Prägung, warum sollte dies nicht auch für gehandicapte Menschen gelten?
Gerade wegen Behinderung
Aktuell werden in 20 Landesverbänden des Deutschen Fußball-Bundes Beauftragte für den Behindertenfußball installiert, die künftig Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen sind. Der Blindenfußball wird sich also hoffentlich weiter in die Breite der Gesellschaft entwickeln. Es bleibt zu hoffen, dass dann nicht nur der Spitzensport, sondern auch verstärkt der Breitensport und dessen Menschen sowie deren Bedürfnisse in den Vordergrund treten. Denn nur so kann die vielfältige Kultur von Menschen mit Behinderungen als ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft erlebt werden und das „trotz Behinderung“ in den Köpfen dauerhaft von einem „gerade wegen Behinderung“ ersetzt werden.