Ein Gastbeitrag von Domingos de Oliveira
Das Erzählen von Geschichten ist die Basis von Büchern, Filmen, Computerspielen und aller anderen Medien. In diesem Beitrag wollen wir zeigen, wie Storytelling als Methode in der inklusiven Medienarbeit verwendet werden kann.
Was gehört zu einer Geschichte?
Die Basis-Zutaten einer guten Geschichte sind schnell erklärt: Man benötigt mindestens zwei Personen und eine Handlung. Um Spannung aufzubauen ist es sinnvoll, dass sich im Laufe der Geschichte ein Konflikt zwischen den Protagonisten entwickelt. In einer inklusiven Geschichte sollten mindestens eine Person mit und eine ohne Behinderung auftreten.
Aufgabenstellung
Die Teilnehmer erhalten die Aufgabe, eine inklusive Geschichte zu entwickeln und medial umzusetzen. Dabei können auch persönliche Erlebnisse verarbeitet werden. Im Idealfall ist das Team, das die Geschichte erstellt selbst inklusiv zusammengesetzt. Um eine realistische Geschichte zu entwickeln, müssen sich die Autoren in eine Person versetzen. Wie ist es, im Rollstuhl zu sitzen? Welche Schwierigkeiten haben Gehörlose im Alltag? Wie gehen Blinde mit Zurückweisung oder anderen Konflikten um? Ebenso wichtig ist aber auch die andere Seite zu beleuchten: Wie reagiere ich als Nicht-Behinderter, wenn ein Blinder auf mich zukommt oder Hilfe von mir möchte? Wie fühle ich mich, wenn ich Hilfe anbiete und diese schroff abgelehnt wird? Die Protagonisten sollten möglichst nicht nach dem Schema „Der Mensch mit Behinderung ist gut, der Nicht-Behinderte ist böse“ angelegt werden, weil solche Geschichten moralisch aufgeladen und nicht lebensnah wirken. Spannende Geschichten entwickeln sich aus Protagonisten, die positive und negative Eigenschaften in sich vereinen. Eine realistische Darstellung von Menschen mit Behinderung erfordert eine Menge Recherche. Eine Suche im Internet fördert zahlreiche persönliche Webseiten zutage. Es gibt auch viele Lebensberichte in Buchform. Eine weitere Möglichkeit sind Interviews mit Menschen mit der Behinderung, die dargestellt werden soll.
Eine einfache Methode, Behinderung praktisch zu erfahren oder Teile der Geschichte auszuprobieren sind Rollenspiele oder Simulationen. Einer der Jugendlichen sollte in die Rolle der Person mit Behinderung schlüpfen und dann idealerweise die dargestellte Behinderung möglichst realitätsnah simulieren, etwa mit einem Rollstuhl oder einer Augenbinde. Die Themen inklusiver Geschichten können bodenständig sein: Welche Konflikte gibt es zum Beispiel zwischen Schülern mit und ohne Behinderung? Auf welche Probleme stoßen Menschen mit Behinderung im Alltag und wie wirken solche Konflikte emotional auf die Beteiligten? Dabei sollte klar werden, warum dieser Konflikt entsteht und wie er gelöst wird. Ein Happy End ist kein Muss. Am Ende der Geschichte sollte sich allerdings etwas im Leben oder Denken einer der beteiligten Personen geändert haben (lesson learned). Um den Projektteilnehmenden die Arbeit zu erleichtern, sollten ihnen Leitfäden oder Checklisten an die Hand gegeben werden. Sie benötigen Informationen dazu, wie ausführlich ein Charakter dargestellt wird, wie ein guter Dialog aussieht, welche Faktoren bei einer Szenen-Beschreibung wichtig sind und so weiter. Es bietet sich an, das Ganze beispielhaft an einer existierenden Geschichte zu analysieren.
Nutzen des Storytelling
Das Entwickeln guter Geschichten zwingt die Autoren, sich in die Protagonisten hineinzuversetzen. Sie sind dabei emotional stärker beteiligt als wenn sie etwa nur einem Vortrag lauschen oder eine Simulation durchlaufen. Beim inklusiven Storytelling haben die Jugendlichen die Möglichkeit, beide Positionen einzunehmen und vielleicht auch einen kritischen Blick auf Inklusion zu werfen. Damit steigt ihr Verständnis für die Situation von Menschen mit Behinderung und die Akzeptanz von Inklusion. In inklusiven Teams können Menschen mit und ohne Behinderung lernen, sich in das jeweilige Gegenüber zu versetzen und so ihr Verständnis füreinander zu erhöhen.
Zum Weiterlesen
- Filmschreiben.de – Ein Blog über Storytelling im Film
- Otto Kruse. Kunst und Technik des Erzählens. Frankfurt am Main 2002. Eine Leseprobe gibt es hier.