Gastbeitrag von Corinna Wulf
„Ebenso wie das Thema Inklusion ist das Lernen mit digitalen Medien ein pädagogischer Megatrend der letzten Jahre. Beide Entwicklungen bringen große Veränderungen in Bildungseinrichtungen und rufen damit gleichermaßen große Erwartungen wie Befürchtungen hervor.“ (Bosse 2014, 149)
Einführung
Die Verknüpfung der Bereiche Inklusion und Medienkompetenzförderung wird erst seit einiger Zeit bildungspolitisch mitgedacht. Zwei Aspekte müssen dabei betrachtet werden:
- Barrierefreiheit in verschiedenen Medien als Voraussetzung für Inklusion – dieser Bereich wird bereits seit Jahren, beispielsweise in Form von unterstützenden Technologien, berücksichtigt und weiter entwickelt. Doch auch hier müssen bestimmt Bedarfe noch stärker berücksichtigt werden, z. B. Angebote in Leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Audiodeskriptionen bei Filmen für Sehgeschädigte.
- Die aktive Einbindung von digitalen Medien in Inklusionsprozesse – d.h. in Lehr- und Lernprozessen bei allen Kindern und Jugendlichen, durch die verschiedene soziale und mediale Kompetenzen gefördert werden.
Die Verbindung von sonder- und medienpädagogischen Themen ist ein relativ junges (Forschungs-) Feld, hier gibt es einen großen Bedarf sowohl „in der Erarbeitung von Konzepten für die praktische Umsetzung der Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen mit Behinderung, als auch in der theoretischen Auseinandersetzung“ (Bosse 2012, 436f). Dieser Beitrag soll an diesen Bedarf anknüpfen und stellt ein inklusives Projekt vor, welches zusammen mit Schülerinnen und Schülern einer Grundschule und einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung durchgeführt wurde. Inhaltlich ging es um die Auseinandersetzung mit dem Genre Krimi, als Endprodukt wurde eine digitale Krimi-Rallye – abrufbar über ein iPad – entwickelt.
Vorbereitung und Rahmenbedingungen
„Krimi total!“ wurde als Abschlussprojekt der berufsbegleitenden Weiterbildung „Inklusive Medienpädagogik 2014“ des Netzwerk Inklusion mit Medien (NIMM!) geplant und durchgeführt. Für die Realisierung des Projekts wurde eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung aus der Stadt Hamm angesprochen, die einige Zeit vor Projektbeginn an der Pilotphase „iPads an die Schulen“ teilgenommen hat und somit mit mehreren iPads ausgestattet wurde. Erfahrungen im Bereich der kreativen, gestalterischen Medienbildung lagen an der Schule jedoch noch nicht vor, sodass die Projektidee auf großes Interesse gestoßen ist. Hinzugenommen wurde dann eine Grundschule aus dem gleichen Stadtteil, welche sofort ihr Interesse bekundete. Somit war die Voraussetzung für ein inklusives Lernsetting geschaffen. Drei Lehrkräfte kooperierten bei der weiteren Projektplanung. Parallel wurde der Kontakt zum Medienzentrum Hamm hergestellt, das weitere Tipps einbrachte und einem kontinuierlichen Austausch zustimmte.
Projektplanung
Das Projekt erstreckte sich über mehrere Wochen (November bis Dezember 2014) und wurde in fünf Projekttreffen à 3 Schulstunden sowie einer Abschlusspräsentation umgesetzt. Insgesamt wurde mit fünf iPads gearbeitet, mit unterschiedlichen Apps wie Actionbound, GarageBand, iMovie, Comic Life und der Kamerafunktion. Insgesamt nahmen vier Schülerinnen und Schüler aus der Grundschule und vier männliche Schüler der Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung (12 – 13 Jahre) teil, die sich im Rahmen des Projekts näher mit dem Thema Krimi befassten. Es wurden eigene kleine Rätsel mit dem iPad und ein interaktiver Mitmach-Krimi in Form einer Krimi-Rallye entwickelt. Dazu wurden unterschiedliche Stationen konzipiert, die zur Aufklärung des Krimis beitragen. Über die App Actionbound können diese als Comics, Foto-Filme, Videos und Audio-Beiträge abgerufen werden. Ziel des Projekts war die Förderung mediengestalterischer Kompetenzen in einer inklusiven Gruppe. Aber auch das literarische Lernen war Bestandteil des Projekts: Dazu gehören Kompetenzbereiche wie das literarische Gespräch, die Imaginationsfähigkeit oder das Nachvollziehen von Figurenperspektiven (vgl. Spinner 2006) z.B. in Form der eigenen Rolle im Krimi.
Projekttreffen I: Einstieg + Kennenlernen
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde die Projektplanung vorgestellt. Danach befassten sich die Projektteilnehmenden mit dem Genre Krimi: Dazu wurden zwei Mitmachkrimis vorgelesen, bei denen die Gruppe zwei Fälle der Lakritzbande mit Hilfe eines Bildes (Hinweis war in der Zeichnung versteckt) und mit Audiogeräuschen, welche die zweite vorgelesene Geschichte unterstützte, lösen sollte. Nach erfolgreicher Lösung wurde die Gruppe in zwei Teilgruppen aufgeteilt, um eigene kleine Rätsel mit jeweils einem auditiven bzw. visuellen Schwerpunkt via iPad zu gestalten. Gruppe 1 fotografierte Gegenständen aus der Schule – natürlich aus einer möglichst schwierigen Perspektive! Gruppe 2 hat verschiedene Geräusche mit der App GarageBand aufgenommen (z.B. Treppe hoch laufen, Wasserhahn) und kleine Geräuscherätsel erstellt. Zum Schluss wurden die Rätsel den anderen Projektteilnehmenden vorgespielt bzw. gezeigt, die Teams mussten dann versuchen, die selbst erstellten Rätsel zu lösen. Danach ging es auf „Schatzsuche“. Ziel war, dass sich die Gruppe noch besser kennen lernte und dass jeder sich etwas unter einer Bound vorstellen konnte. Verschiedene Aufgaben und Fragen, wie z.B. „Gebt euch einen Detektivnamen“ oder „Findet den nächsten QR-Code, der sich auf dem Schulhof versteckt“, schweißten die Gruppe zusammen. Im Team musste man sich einigen, wer die Antwort auf dem Tablet eingibt, auf das Gerät aufpasst usw. Als Schatz wurde eine kleine Kiste entdeckt, darin einige Hinweise, mit Hilfe derer dann das Storyboard des eigenen Krimis entwickelt werden sollte.
Projekttreffen II: Entwicklung der Krimigeschichte
Beim zweiten Treffen stand die Entwicklung des eigenen Krimis im Vordergrund, der dann später mit Fotos, Audios und Videos umgesetzt werden sollte: Welche Drehorte kommen in Frage? Was soll passiert sein (Diebstahl oder Entführung)? Wer soll mitspielen? Wer übernimmt welche Rolle und wie möchte ich mich anziehen? Alle Fragen konnten in einer Diskussion geklärt werden, hier brachten die Teilnehmenden auch eigene Ideen ein. Als Aufhänger für die Geschichte diente der Schulhase der Förderschule, der in einer Nacht-und-Nebelaktion von einem Jugendlichen gestohlen wurde. Die Hausmeisterin der Schule entdeckt dies am nächsten Morgen und informiert sofort die fünf Detektive, die den Tatort erkunden und den Fall lösen. Gemeinsam wurde überlegt, welche Szenen in dem Krimi vorkommen sollen und wie die Geschichte endet – die Ergebnisse wurden an der Tafel notiert.
Projekttreffen III + IV: Mediale Ausarbeitung der einzelnen Krimi-Szenen
In den nächsten Projekttreffen wurden sämtliche Materialien für die Krimi-Rallye aufgenommen. Je nach Szene wurde die Gruppe aufgeteilt, sodass möglichst viele eine Aufgabe hatten. Es wurden Fotos geschossen, Videos und Audios aufgenommen – natürlich alles mit dem iPad. Die Projektleitung unterstützte die Teilnehmenden, diese konnten (z. B. in Bezug auf Drehorte) weitere Ideen einbringen, die dann gemeinsam umgesetzt wurden. Besprochen wurde, welche Teilszenen als Video, Comic oder Fotofilm umgesetzt werden sollten. Die Zeit war dazu in beiden Projekttreffen sehr knapp, sodass das Schneiden über iMovie, Comiclife und Garageband und die Einbindung in die App Actionbound im Anschluss von der Projektleitung übernommen wurde. Eine Einbindung von interessierten Teilnehmenden ist bei einem zeitlich umfangreicheren Projekt jedoch denkbar.
Projekttreffen V: Probedurchlauf und Reflexion
Nach Fertigstellung der Krimi-Rallye durch die Projektleitung stand im letzten Treffen das Ausprobieren und Betrachten des Endergebnisses im Vordergrund. Dazu haben sich immer je ein Schüler bzw. eine Schüler pro Schule zu einem Team zusammengeschlossen, um die Krimi-Rallye am iPad durchzuführen. Dieses Vorgehen erwies sich als sinnvoll, da die Grundschülerinnen und – schüler Textpassagen vorlesen konnten – dies war jedoch durch die mediale Vielfalt nicht immer notwendig. Im Anschluss wurde das Projekt reflektiert:
- Was hat bei der Zusammenarbeit besonders gut gefallen? Was hat gut geklappt? (Inklusionsgedanke)
- Was hat bei der Arbeit mit den iPads besonders gut gefallen? Was hat gut geklappt? (Medienkompetenz)
Die Ergebnisse wurden auf Moderationskarten fixiert und sollten bei der Abschlusspräsentation von den Schülerinnen und Schülern vorgestellt werden.
Abschluss-Event – Präsentation der Ergebnisse
Die digitale Krimi-Rallye wurde im Rahmen eines Abschluss-Events vor Mitschülerinnen und Mitschülern, den beiden Schulleitungen, einigen Lehrkräften und Vertretern von Stadt, Medienzentrum und Presse präsentiert. Hier wurden Hintergrundinfos zum Projektsetting, -verlauf und -zielsetzung vorgestellt. Im Anschluss konnten alle Interessierten die Krimi-Rallye mit Tablets, die von der Förderschule bereit gestellt wurden, in Teams durchführen. Die Projektteilnehmenden unterstützten die Erwachsenen dabei technisch und fungierten somit als Expertinnen und Experten. Zum Schluss wurden Reflexions-Ergebnisse der Projektteilnehmenden präsentiert: So wurde vor allem die gelungene Zusammenarbeit und das tolle Endprodukt von den Projektteilnehmenden gelobt. Auch sei die Projektarbeit sehr abwechslungsreich gewesen. Insgesamt erhielt das Projekt von allen Beteiligten und Gästen sehr viele positive Rückmeldungen und kann somit als „Mutmacher“ für weitere innovative, inklusive Medienprojekte gesehen werden.
Fazit
Das vorgestellte Projekt kann als gelungenes Beispiel für inklusive Medienbildung gelten. Dabei wurde seitens der beteiligten Lehrkräfte und der Schulleitungen – wie im Eingangs-Zitat bereits angedeutet – eine hohe Erwartungshaltung deutlich, die immer wieder auch mit Befürchtungen verknüpft war, dass das Projekt nicht das Ergebnis liefert wie zu Beginn angekündigt. Die Befürchtungen haben sich jedoch nicht bewahrheitet. Im Gegenteil – die Lehrkräfte und Gäste waren von dem Endergebnis sehr beeindruckt. So wären alle Schülerinnen und Schüler sehr aus sich herausgekommen und hätten Kompetenzen gezeigt, die man ihnen vorab nicht unbedingt zugetraut hätte: Alle haben eine oder auch mehrere Sprecherrollen übernommen und auch technisch musste jeder unterstützen! Nicht nur die medialen, auch die sozialen Kompetenzen sollten im Rahmen des Projekts gefördert werden: Alle Teilnehmenden mussten sich gegenseitig unterstützen und hatten auf diese Weise die Gelegenheit eigene Ideen und Fähigkeiten einzubringen. Unterstützung und Sensibilität muss aber auch seitens der Projektleitung stets gegeben sein, damit ein ansprechendes Ergebnis für alle erreicht und inklusives Lernen in solchen Projektkontexten ermöglicht werden kann.
Geförderte Kompetenzen (nach Medienpass NRW)
Klasse 4 – 6
Bedienen und Anwenden:
- SuS wenden Basisfunktionen digitaler Medien an
- SuS wenden Standardfunktionen von Video- und Audioprogrammen an
- SuS wenden Standardfunktionen eines Betriebssystems an
Produzieren und Präsentieren:
- SuS erstellen unter Anleitung ein einfaches Medienprodukt
- SuS entwickeln einen groben Projektplan für die Erstellung eines Medienproduktes
- SuS stellen ihre Arbeitsergebnisse vor
- SuS präsentieren ihr Medienprodukt vor Mitschülerinnen und Mitschülern
Kommunizieren und Kooperieren:
- SuS nutzen altersgemäße Medien zur Zusammenarbeit in schulischen Projekten
Literatur
- Bosse, Ingo (2012): Medienbildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung – in Universität und Schule. In: Schulz-Zander, Renate et. al. (2012): Jahrbuch Medienpädagogik 9. VS: Wiesbaden. 431 – 453.
- Bosse, Ingo (2014): Zur Rolle der Medienpädagogik im Inklusionsprozess. In: Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete. Vol. 2014. 2, 149 – 153.
- Deutsche UNESCO-Kommission e.V.(2010): Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik. Bonn. (28.01.2015)
- LVR Zentrum für Medien und Bildung (2015): Medienpass NRW (28.01.2015)
- Spinner, Kaspar H. (2006): Literarisches Lernen. In: Praxis Deutsch. 33 (2006) 200. 6 – 16.Weitere Infos