Das PIKSL-Labor als inklusive Denkfabrik
Die mediale Diskussion um Inklusion zeigt vor allem eins: Für viele ist nicht mehr die Frage, OB Menschen mit und ohne Behinderung miteinander leben, lernen und arbeiten sollen, sondern WIE. Die aktuelle Debatte um Henri, einen Jungen mit Down-Syndrom, dessen Mutter sich für eine zieldifferenzierte Beschulung auf dem Gymnasium stark macht, zeigt aber auch: Vor allem Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. sog. „geistigen Behinderungen“ stoßen immer noch auf Vorbehalte in Kontexten jenseits von „klassisch separierten“ Betreuungssettings in Förderschulen, Tagesförder- und Werkstätten. Das PIKSL-Projekt aus Düsseldorf hat sich aufgemacht, dies zu ändern.
Im PIKSL-Labor wird an verschiedenen Inklusions“rezepten“ experimentiert, die Arbeit der Laborantinnen und Laboranten kreist dabei um folgende Fragen:
- Wie können digitale Barrieren für Menschen mit Lernschwierigkeiten abgebaut werden – wenn man davon ausgeht, dass der Umgang mit digitalen Medien immer mehr zu einer unverzichtbaren Grundlage für die individuelle Lebensbewältigung wird?
- Wie kann ein offener Kommunikations- und Begegnungsraum für ALLE geschaffen werden, in dem sich Menschen mit Lernschwierigkeiten, Studierende, Forschende, Senior/innen, Menschen aus der Werbung, aus dem Kiez, wie du und ich…wohlfühlen – und der von ihnen gleichermaßen genutzt wird, um so über Begegnungen Vorbehalte abzubauen?
- Und nicht zuletzt: Wie können Teilhabe-Modelle geschaffen werden, bei denen auch ganz handfeste ökonomische Vorteile für alle Beteiligten „herausspringen“?
Wesentliche „Zutaten“ im Labor-Prozess sind:
- Menschen mit Lernschwierigkeiten werden nicht als „Problemfälle“ betrachtet, sondern als „Teil der Lösung“: Sie sind Experten – nicht nur in der vielbesungenen „eigenen Sache“, sondern insbesondere bei der Bewältigung und Reduzierung von komplexen Problemstellungen.
- Menschen mit Lernschwierigkeiten sind damit wichtige Co-Entwickler des Universal Designs – denn was für Menschen mit Behinderung gut ist, ist für alle gut.
- Das gemischte PIKSL-Team bringt ganz unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen in die Arbeit ein.
- Das PIKSL-Labor ist eine neutraler und stigmatisierungsfreier Ort der Begegnung.
Herausgekommen sind dabei zahlreiche spannende Projekte und inklusive Win-Win-Situationen, so z. B. die Computerkurse für Seniorinnen und Senioren. Die Laborant/innen mit Lernschwierigkeiten sind bestens gerüstet, den Senior/innen grundlegendes Computerwissen zu vermitteln, da sie anfangs mit genau den gleichen Fragen und Problemen konfrontiert waren, wie die frisch gebackenen „Silver Surfer“ und sich so mit viel Geduld in deren Lage versetzen können. Im PIKSL-Labor geht’s aber längst nicht nur um Computer und Internet, wie diverse Kunstaktionen zeigen (z. B. das Guerilla-Knitting, bei dem Straßenschilder, -bäume und sonstige Elemente des städtischen Raums liebevoll umstrickt, umhäkelt und um“garnt“ werden) zeigen. Und auch mo, der Tisch, der gemeinsam abgestimmt auf die verschiedenen Bedürfnisse entwickelt wurde, sieht richtig cool aus und kann mittlerweile von Liebhabern funktionaler und minimalistischer Ästhetik bestellt werden. Denn gut aussehende, qualitativ anspruchsvoll gestaltete Produkte sind ein wichtiger Punkt im Prozess der Anerkennung und Entstigmatisierung.
3 Fragen an… Benjamin Freese, Leiter PIKSL-Labor
NIMM 2.0: Welchen Beitrag können Medien für mehr Inklusion in der Gesellschaft leisten?
Benjamin Freese (BF): In einer immer komplexer werdenden Welt, mit beständig steigenden Anforderungen, hat die Medienbildung auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft eine Schlüsselfunktion. Kurz gesagt: Medienbildungsangebote ermöglichen mehr gesellschaftliche Teilhabe und vermitteln Kompetenzen, mit denen Menschen mit Behinderung ihre Rechte durchsetzen und ein größtmöglich selbstbestimmtes Leben führen können. Mediennutzung kann den Zugang zu wichtigen Ressourcen und Informationen vereinfachen. Auch durch die zunehmende Verbreitung von Smartphones und Tablets eröffnen sich für Menschen mit Behinderung viele Vorteile und zahlreiche neue Möglichkeiten: Die Art des Lernens ändert sich durch mobile Endgeräte, Informationen sind über das Internet sofort verfügbar, integrierte GPS-Systeme unterstützen bei der Orientierung, Nachrichten können versendet werden, und jederzeit können Fotos und Filme aufgenommen werden. Wichtig: Inklusive Medienbildung sollte handlungs- und interessenorientiert sein. Dabei ist ein sensibler Umgang mit individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen gefragt. Inklusion bedingt deshalb auch ausreichende Unterstützung und Assistenz. Im PIKSL-Labor kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen, um gemeinsam zu lernen. Durch die Begegnung entstehen Beziehungen, die die Wahrnehmung von „Behinderung“ verändern können.
Welcher Beitrag müsste auf Ebene der Medien noch geleistet werden, damit sie „inklusiv“ wirken können?
Medien können unsere Wahrnehmung positiv beeinflussen, deshalb ist ein sensibler, nicht-kategorisierender Sprachgebrauch besonders wichtig. Menschen mit Behinderung sollten in TV-Beiträgen und Zeitungsartikeln nicht auf Einschränkungen reduziert, sondern als „normale“ Menschen dargestellt werden. Vielleicht würden sich durch den Abbau von Vorurteilen auch mehr Zugänge zu Bildungs-Angeboten ergeben. Denn für Menschen mit Lernschwierigkeiten sind bestehende Medienbildungsangebote an teilweise schwer zu überwindende Voraussetzungen gebunden. Trotz der bestehenden Unterschiedlichkeit sollte es nicht zu (Bildungs-) Benachteiligung kommen: Ein „Inklusives (Medien-)Bildungssystem“ wie es in der UN-Konvention gefordert wird sowie Fort- und Weiterbildungsangebote außerhalb der Behindertenhilfe, um mehr Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, wäre eine sehr zu begrüßende Entwicklung.
Last but not least: Die PIKSL-Philosophie und Ausblick
PIKSL verfolgt das Ziel, Partizipationsmöglichkeiten an digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien zu schaffen und gleichzeitig Barrieren interdisziplinär abzubauen, um Teilhabechancen zu verbessern, für die betroffenen Menschen neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen und Inklusion vor Ort anzustoßen.
Mit den Erfahrungen des dreijährigen Modellprojekts PIKSL werden auch Bedarfe und neue Möglichkeiten alternativer Qualifizierungs- und Beschäftigungskonzepte im Kontext von digitaler Teilhabe und Universal Design sichtbar. Nach der UN-BRK haben Menschen mit Behinderung einen Anspruch auf berufliche Verwirklichung und Chancengleichheit (Artikel 27). Die Entwicklung von innovativen (digitalen) Weiter-Bildungsangeboten und die Erprobung von inklusiven Beschäftigungsbedingungen könnten neue Impulse für beruflichen Teilhabe für Menschen mit Behinderung liefern.
PIKSL …
…steht für „Personenzentrierte Interaktion und Kommunikation für mehr Selbstbestimmung im Leben“. Hinter dem „sperrigen“ Namen verbirgt sich der Anspruch, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen mit und ohne Lernschwierigkeiten begegnen und gemeinsam am Abbau von (digitalen) Barrieren arbeiten. Im PIKSL-Labor im Düsseldorfer Stadtteil Flingern wurden seit Oktober 2011 mit verschiedenen Kooperationspartner aus Entwicklung und Forschung zahlreiche Projekte initiiert und umgesetzt. Das Modellprojekt PIKSL wird maßgeblich gefördert von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW. Träger von PIKSL ist die In der Gemeinde leben (IGl) gGmbH aus Düsseldorf. Die IGl gGmbH ist eine Tochter der V. Bodelschwinghschen Stiftung Bethel und der Diakonie Düsseldorf.
Das ist los bei PIKSL
- Inklusive Medienbildungsangebote
- Projekte mit Hochschulen, z. B. die Entwicklung eines barrierearmen, einfach zu bedienenden Content Management Systems oder die Begleitung der Entwicklung von Knoffit, einem Mit-Mach-Wörterbuch in Leichter Sprache (Übersicht über alle Projekte)
- Computerkurse für Senior/innen von PIKSL-Laborant/innen mit Lernschwierigkeiten (WDR-Bericht über die PIKSL-Computerkurse)
- Produktion des Magazins „IGl im Bild“
- Retrospieleabend mit den Konsolenkindern Düsseldorf (2x mal jährlich)
- Kunstaktionen und -projekte (z. B. Wollwerken und „Guerilla Knitting“), Firmentrainings, Kooperationsprojekte mit Berufsschulklassen, Aktionstage…
Preise
Das PIKSL-Projekt hat für seine Arbeit bereits viel Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten, so z. B. die Auszeichnungen
- „Ort des Fortschritts 2012“ des Landes NRW
- „Ausgewählter Ort 2012“ der Initiative „Deutschland Land der Ideen“
- Innovative Practices 2014 on Accessibility verliehen von Zero Project
Weitere Infos und Kontakt
- Benjamin Freese (M.A., Dipl.-Soz.Päd./Dipl.-Soz.Arb., Erzieher und Erlebnispädagoge | Leiter PIKSL-Labor)
- PIKSL- Labor, Erkrather Str. 107, 40233 Düsseldorf-Fingern | Telefon: 0211 6020789
- www.piksl.net und www.facebook.com/PIKSLTEAM