Ein Kursbericht von Birgitt Nehring
Seit 1980 unterrichte ich das Zehnfingersystem zur ergonomischen Texteingabe mittels Tastatur und seit vielen Jahren bei barrierefrei kommunizieren! in Bonn. Das Schreiben wird auch als „Blindschreiben“ oder „Tastschreiben“ bezeichnet. Ursprünglich wurde das Tastschreiben für blinde Menschen erfunden, damit sie effektiver arbeiten und kommunizieren konnten. Daher auch die Bezeichnung “Blindschreiben”. Auf den Buchstaben f und j findet man daher kleine Querstriche, damit man auch blind die Grundstellung ertasten kann. Nun lernen nicht nur blinde Menschen das Zehnfingersystem, sondern es wird in Kursen und als Unterrichtsfach in Schulen vermittelt – schließlich bringt es enorme Vorteile in der Schule, in der Ausbildung und im Beruf, da immer größere Textmengen am Computer bewältigt werden müssen.
Ein andere Begriff für das Zehnfingersystem ist „Tastschreiben“, weil man die Tasten nur fühlen muss und beim Schreiben eines Textes nicht auf die Tastatur schauen muss. Doch wie lernt man das Tastschreiben, wenn man in den Fingern kein Gefühl hat? Diese Frage musste ich mir im letzten Sommerferienkurs „Tastaturtraining“ stellen, als ich eine 14 Jahre junge Teilnehmerin mit einer neurogenetischen Erkrankung im Kurs hatte. „Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ 1a“, erklärte sie zu Beginn des fünftägigen Kurses. Sie erzählte, dass sie in den kleinen Fingern kein Gespür hat und sie die von mir vermittelten Griffwege mit den kleinen Fingern kaum nachvollziehen kann, weil sie in den Fingern nichts spürt und auch keine Kraft hat. Diese Situation hatte ich noch nie und mein erster Impuls war „Nicht aufgeben, wir finden eine Lösung für dich“. Dienstag hatte sie in den Fingern Muskelkater, wollte aber auf keinen Fall aufgeben, sondern mit mir gemeinsam das Tastschreiben, soweit es ihr möglich war, lernen. Und so haben wir uns gemeinsam jeden Tag durch die Tastatur gearbeitet.
Von Tag zu Tag wurde sie motivierter, mutiger und merkte, dass das Training ihr nicht schadet, sondern hilft. Ich habe mit ihr eine Mischform als Lösung gefunden: Mit den gesunden Finger konnte sie blind schreiben und bei den kleinen Fingern musste sie eben auf die Tastatur schauen, um den Griff koordinieren und ausführen zu können. Am Freitag konnte sie schon sehr gut Texte abschreiben und war die eifrigste Schreiberin im Kurs. Sie hatte durch das Tastschreiben einen Weg gefunden, das mühsame und für sie sehr ermüdende Handschreiben durch das wesentlich effektivere Schreiben auf der Tastatur zu ersetzen. Für mich als Inklusionsscout war es ebenfalls ein gutes Gefühl, ihr durch das Tastschreiben und das individuelle Konzept helfen zu können.
Im Feedbackbogen schrieb sie: „[Das Beste war] die Erfahrung, dass mit Übung jeder alles kann und dass ich, obwohl ich es nie gedacht habe, es geschafft habe, mit 10 Fingern schreiben zu können. Es fühlt sich an wie Klavier spielen. Ich musste Klarinette spielen aufgeben, weil es für meine Finger zu viel Kraft gekostet hat. Beim Tastaturtraining habe ich in kürzester Zeit meine Koordinationsfähigkeit und Kraft in den Fingern verbessert. Das Schreiben auf der Tastatur fühlt sich an, als wenn ich Musik machen würde. Es fühlt sich entspannend an und ich bin glücklich darüber, das ich einen Weg gefunden habe, über längere Zeit zu schreiben. Es macht mich glücklich.“