Treffen, Vernetzen und Perspektiven schaffen
Zum mittlerweile 3. Mal trafen sich die Netzwerkmitglieder des Kooperationsprojekts NIMM! und Praktiker/innen aus den Bereichen Inklusion und Medien in der Jugendherberge Düsseldorf, um die Abschlussprojekte der Absolvent/innen der 2. Weiterbildung Inklusive Medienpädagogik zu würdigen, sich über bundesweite inklusive Medienprojekte zu informieren und gemeinsam über ihre Arbeit auszutauschen. So vielfältig wie die Themen, so vielfältig das Publikum – und so war ein interessantes Programm für die über 100 Teilnehmenden des 3. Fachtags garantiert.
Frau Anke Mützenich vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW eröffnete mit einem Grußwort die Veranstaltung. Sie lobte die Potenziale von Medienprojekten, gemeinsame Aktionen zwischen Heranwachsenden mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu fördern und damit auch einen Beitrag zum Voranbringen von Inklusion im gesamten Bildungssystem zu leisten. Sie würdigte in ihrer Ansprache das große Engagement der Absolvent/innen der Weiterbildung, die sich berufsbegleitend weitergebildet und inklusive Medienprojekte geplant und durchgeführt haben. Das Projekt NIMM! bezeichnete sie als herausragendes Beispiel, um Wissen und Erfahrungen rund um Inklusion mit Medien in die Breite zu geben. Vor allem den Vernetzungscharakter des Projekts, z. B. durch die 4 Kompetenzzentren für inklusive Medienarbeit und das Netzwerk der Inklusions-Scouts, nannte sie einen hervorragenden Ansatz, das Thema Inklusion mit Medien nachhaltig in der Breite zu verankern.
Gemeinsam mit Dr. Christine Ketzer, Geschäftsführerin LAG Lokale Medienarbeit NRW e. V. und Susanne Böhmig, Leiterin barrierefrei kommunizieren!/ tjfbg gGmbH überreichte Frau Mützenich im Anschluss unter großem Applaus die Abschlusszertifikate an die Absolvent/innen der Weiterbildung Inklusive Medienpädagogik.
Die beiden Projektleiter/innen stellten anschließend Inhalte und Intentionen des Projektes Netzwerk Inklusion mit Medien vor: Die Weiterbildung, die Workshops in den Regionalen Kompetenzzentren für Inklusion mit Medien, das Netzwerk der Inklusions-Scouts und nicht zuletzt die Plattform inklusive-medienarbeit.de und die Facebook-Gruppe Inklusive Medienarbeit. Christine Ketzer betonte noch einmal den Prozesscharakter der Umsetzung von mehr Inklusion:
„Man muss wirklich sehen, dass es ein Prozess ist, wir sind nicht aus der Weiterbildung geplumpst, und zack sind wir inklusive Menschen, insofern ist es gut, wenn man sich austauscht und darüber spricht, was es für Probleme gibt, es ist ein Prozess, wir sind auf dem Weg, wahrscheinlich wird dieser Prozess auch niemals beendet sein.“
Wie wichtig der Austausch unterschiedlicher Sichtweisen auf Inklusion ist, zeigte auch das nachfolgende Expertinnen-Gespräch zwischen Prof. Dr. Saskia Schuppener, Professorin für Geistigbehindertenpädagogik, Sandra Meinert vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Rheinland und Maria Frahling, pädagogische Co-Leiterin im medienpädagogischen Fachbereich [i:si]-Raum für Medien im Bürgerhaus Bennohaus Münster und Inklusions-Scout für das Projekt NIMM.
Frau Schuppener, die im Gespräch die Perspektive der Wissenschaft vertrat, betonte, dass Inklusion grundsätzlich im Kopf beginne und die Voraussetzung eine grundlegende Offenheit für Alle sei, auch für diejenigen mit komplexen Unterstützungsbedarf. Auch sie betonte, dass Inklusion ein Prozess sei, der immer wieder auch kritisch hinterfragt werden müsse. Bei Inklusion gehe es immer um Chancengleichheit, Chancengerechtigkeit und gleichberechtigte Mitwirkungsmöglichkeiten für Alle. Sie betonte auch den Perspektivwechsel der mit UN-Behindertenrechtskonvention für Menschen mit Behinderungserfahrungen einhergehe: Eigentlich gehe es jetzt nicht mehr um die „Qual der Wahl“ zwischen Angeboten, die offen sind für alle und speziellen „Sonder-Angeboten“, sondern die Perspektive müsse sein: Wie müssen Angebote und Einrichtungen gestaltet sein, dass sie auch wirklich für alle zugänglich sind?
„Wie können Ausgrenzungserfahrungen vermieden werden und wie können wir Verschiedenheit annehmen und fruchtbar werden lassen? Wie können wir eine Willkommenskultur entwickeln, die auf Vertrauen und Anerkennung basiert, gegenüber uns selbst und gegenüber allen Teilnehmenden?“,
so die zentrale Frage von Prof. Schuppener. An zwei Beispielen, dem integrativen Kunstfestival „Ohne Wenn und Aber“ sowie dem Kulturführer „Einfach Leipzig“, zeigte sie Beispiele, wie die Uni Leipzig diesem Ziel ein Schritt näher kommen will. Interessant auch der Verweis auf das Trinnity College in Dublin: Hier gibt es auch für Menschen ohne Abitur die Möglichkeit zu studieren – eine Perspektive, die momentan für Deutschland noch weit entfernt zu sein scheint.
Frau Meinert vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Rheinland stellte die Aufgaben des Kompetenzzentrums vor, in dessen Fokus die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Beratung, Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit steht. Unabhängigkeit, Parteilichkeit, Ganzheitlichkeit, Emanzipation und eigene Betroffenheit waren die Schlagworte ihrer Rede: Das Prinzip des Peer-Counseling, Menschen mit Behinderung beraten Menschen mit Behinderung, ist leitend für die Arbeit des Kompetenzzentrums bzw. der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung überhaupt.
„Wir möchten als selbst betroffene Experten als Vorbild zur Seite stehen und zeigen, man kann auch in einer schwierigen Lebenssituation Lösungen finden… Öffentlichkeitsarbeit ist ein weiterer wichtiger Punkt: Wir versuchen das Bild behinderter Menschen in der Öffentlichkeit zu verändern, auf Stärken hinzuweisen… […]… dadurch, dass wir selbst in der Öffentlichkeit auftreten, ergibt sich ein anderes Bild von behinderten Menschen.“
Auch Sandra Meinert betonte die Bedeutung der UN-Konvention, gleichzeitig mahnte sie an, wieviel noch passieren müsse: Auch nach 5 Jahren UN-Konvention sei der Inklusionsprozess noch ganz am Anfang, immer noch fänden zu häufig Standortbestimmungen statt oder würde der Begriff einfach synonym, aber entgegen der eigentlichen Bedeutung, für Integration benutzt. Modellprojekte wie NIMM! und die Ausbildung und die Erweiterung des Netzwerks der Inklusions-Scouts seien enorm wichtig, um nächste Schritte in der Praxis zu gehen.
Maria Frahling stellte ihre Sicht auf Inklusion als Medienprakterin dar: das Bennohaus in Münster hat in diesem Bereich bereits seit 2007 Erfahrung und führt jedes Jahr eine beeindruckende Bandbreite an inklusiven (Medien-) Projekten durch, z. B. Film und Fernseh-AGs, medienpädagogische Projektwochen, Medientage, inklusive Ferienbetreuung, Fotoworkshops, Theater- und Tanzworkshops und Computer- und Internetkurse. Im letzten Jahr wurden über 700 Heranwachsende erreicht. Inklusion beinhalte neben der sozialen durchaus auch die mediale Teilhabe, damit gehen Lernprozesse für alle einher: die Auseinandersetzung mit den eigenen Unsicherheiten und die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen. Ganz wichtig sei die Ergänzung der eigenen Kompetenzen durch Dritte, niemand könne von Anfang an alles leisten. Medienarbeit sei ideal geeignet, Heranwachsende mit den verschiedensten Voraussetzungen mitzunehmen, da in Medienprojekten so viele verschiedene Aufgaben anfielen – vom Storyboard schreiben bis zum Kulissenbauen – das garantiert für jeden etwas dabei sei. Das fertige Medienprodukt stünde dabei nur auf dem ersten Blick im Vordergrund:
„Wenn ich ein Medienprojekt erstelle, brauche ich Teamarbeit, ich brauche Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit, in einer großen Gruppe zusammenzuarbeiten. Das ist ein Training von sozialen Kompetenzen, das total wichtig ist. Das Beste zum Schluss: Wir arbeiten beim Film mit einem Medium, wo Jugendliche unglaublich motiviert sind, das ist deren Ding. […] Auf der anderen Seite ist das kreative Arbeiten auch losgelöst von Noten und Leistungsdruck, das birgt eine ganz andere Qualität.“
Im Anschluss daran fand das allseits beliebte Speed-Dating statt: hier hatte das Fachtagspublikum Gelegenheit, mit den anderen Fachtagsteilnehmenden ins Gespräch zu kommen, sich über die Interessen und Arbeitsschwerpunkte auszutauschen, Visitenkarten zu verteilen und im besten Falle Kooperationspartner für neue Projekte zu finden. Die neu geknüpften Kontakte konnten anschließend bei der Mittagspause Plus vertieft werden.
Plus stand hierbei außerdem für die Präsentation der Praxisprojekte der Weiterbildungsabsolvent/innen. An den 11 liebevoll dekorierten Projektständen konnte sich das Publikum einen überzeugenden Eindruck von der Vielfalt der Abschlussprojekte verschaffen und mit den Absolvent/innen ins Gespräch kommen.
Folgende Projekte wurden präsentiert:
- Klangwelten: Eine Hörspielproduktion (Almuth Frommhold, Medienpädagogin im Medienkulturzentrum Dresden)
- Kommissar Kugelblitz und das halbe Klavier: Ein inklusives Brickfilmprojekt mit Aspekten der Leseförderung (Ella Dorothea Polenz, Studium Lehramt sonderpädagogische Förderung an der TU Dortmund, BA Heilpädagogik)
- Kinderwelten – Medienwelten: Workshop mit Erzieherinnen inklusiver Gruppen (Elisabeth Janke, Dipl.-Päd., Leiterin des Medienzentrums Lippe)
- Peer Education „leicht gemacht“ – Medienscouts entwickeln Cybermobbing-Infomaterial in Leichter Sprache (Bianca Post, Deutscher Kinderschutzbund, Ortsverband Bielefeld e.V. und Janine Girard, Stadt Gütersloh, Jugendberufshilfe)
- Zu Gast bei Freunden (Julia Reichert, Schulsozialarbeiterin bei der Stadt Köln, Nordpark Schule in Köln-Nippes und Stephanie Hendriks, Medienpädagogin)
- EinBlick – Eine Zeitung für ALLE in Ton, Bild und Text in Leichter Sprache (Karin Grube, Sonderpädagogin an der IGS Bonn-Beuel in Kooperation mit barrierefrei kommunizieren!/ Bonn)
- Das Haus der Geräusche (Klaus Tembrink, Dipl. Sozialarbeiter)
- Kochen und Computer lernen (Mechtild Heselhaus, Dipl. Sozialarbeiterin)
- Warum ausgerechnet nach Bonn…? Unsere Talkshow GO AND STOP! )(Regina Klinkenberg, Sonderpädagogin; in Zusammenarbeit mit Elif Kanoglu, Schulsozialarbeiterin Realschule Hardtberg Bonn)
- Manni Möhrchen – der inklusive Workshop: Förderansätze bei Legasthenie medienpädagogisch entschlüsseln (Sabine Claudia Strauscheidt, Lerntherapeutin und diplomierte Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin (EÖDL), Bonn)
- Foto- und Radio-Workshop im Cafe Leichtsinn (Xenia Löffler, Studentin Sonderpädagogik Uni Köln und Sabrina Schütt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin FH Köln)
Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen der Praxisforen. Eingeladen waren interessante Akteure und Projekte aus ganz Deutschland, sich und ihre inklusive Medienarbeit vorzustellen.
Welche Möglichkeiten haben Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit inklusiv zu arbeiten? So die Leitfrage von Praxisforum I. Medienprojekte und Medienarbeit sind dabei nur eine Möglichkeit, exemplarisch dafür ist die Kooperation von barrierefrei kommunizieren!/ Bonn mit dem HiP. barrierefrei kommunizieren! unterstützt seit längerem durch Technik, Personal und KnowHow die Medienarbeit des HiP und trägt auf diesem Weg dazu bei, das inklusive Profil der Einrichtung zu schärfen. Eine andere Strategie ist, den jugendlichen Besucher/innen einer Einrichtung selbst viel Verantwortung zu übertragen, auch denjenigen mit einer Behinderung. Eindrucksvoll demonstrierte diesen Weg Anne Skribbe vom Cafe Leichtsinn aus Bergisch-Gladbach, in dem auch inklusive Medienprojekte zunehmend eine wichtige Rolle spielen.
In Praxisforum II diskutierten Blickwechsel e. V., Medienblitz e. V. und Die Welle gGmbH, wie inklusive Medienprojekte produktiv im Offenen Ganztag eingesetzt werden können, um inklusive Prozesse zu fördern. Wie können Kooperationen mit dem Akteur „Schule“ gelingen? Die Praxisforisten brachten es auf die Formel „Engagement plus Marketing plus die Königin einer Schule überzeugen, dass Medienarbeit etwas Tolles ist.“
In Praxisforum III ging es ganz konkret um das Medium Film. Welche Möglichkeiten bietet filmbasierte Medienarbeit Heranwachsende mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen und Einschränkungen anzusprechen? Maria Frahling vom Bennohaus präsentierte ein Filmprojekt mit hörbehinderten Heranwachsenden, in dem viel Wert auf die Herausbildung einer starken Körpersprache, unterstützt durch theaterpädagogische Übungen, gelegt wurde. Claudia Ziegenfuß und Christian Coesfeld von doxs! stellten ebenfalls zwei spannende Filmprojekte vor. Einmal Filmarbeit mit Dokumentarfilmen in verschiedenen Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen und Geistige Entwicklung und zum anderen ein Filmprojekt, bei dem es um die Erstellung von Audiodeskriptionen mit Heranwachsenden mit und ohne Sehbehinderung ging. Zumeist müssen die Akteure kaum vom Wert der Filmarbeit überzeugt werden, wichtig ist jedoch in jedem Fall genug (Fach-) Personal, um die Projekte erfolgreich umzusetzen.
Praxisforum IV mit den Diskutanten Daniel Heinz von Spieleratgeber NRW e. V., Dirk Poerschke vom LVR Zentrum für Medien und Bildung und Annette Bauch, Entwicklerin einer Autismus-App, war deutlich kontroverser angelegt, weil, wie Moderatorin Susanne Böhmig anmerkte, „Computerspiele und soziale Netzwerke immer zwei Seiten haben, die man nicht beide vorbehaltlos lieben kann“. Wichtig sei in jedem Fall, unabhängig von einem bestimmten „Mode-Netzwerk“, die Grundlagen zu vermitteln: Was mache ich mit den Daten, wie gebe ich Informationen weiter, wie gehe ich mit der Kommunikation im Netz um? Außerdem sei wichtig, die Vorlieben der Heranwachsenden für Computerspiele und Soziale Netzwerke nicht zu negieren, sondern aufzugreifen und kreativ anzuverwandeln: Warum nicht aus Computerspielen Live-Rollenspiele machen und damit quasi Theater zu spielen?