Gastbeitrag über vorurteilsbewusste (medien-)pädagogische Arbeit von Mona Kheir El Din
Vorurteile sind ständig präsent, jeder hat sie, sie sind alltäglich, auch wenn Integration schon lange und Inklusion kürzlich in aller Munde ist. Damit die Vorurteile nicht Herr über unser Denken und Handeln werden, müssen wir uns unserer Voreingenommenheiten bewusst werden, dann können wir auch gegen sie aktiv werden.
Vielfalt ist selbstverständlich
In sozialen Gemeinschaften – so auch in Kinder- und Jugendgruppen – spielen Haltungen und Bewertungen gegenüber Menschen eine zentrale Rolle. Sie beziehen sich auf Sprachen, Religionen, Hautfarben, körperliche Merkmale und Fähigkeiten, sozio-ökonomische Ressourcen, Herkunftskulturen, Alter, sexuelle Orientierung, Geschlechtsrollen usw.. Kinder erfahren schon sehr früh, wo sie und ihre Familienkultur im Rahmen der gesellschaftlichen Hierarchien zugeordnet werden, wenn es um Gegensatzpaare wie arm-reich, schwarz-weiß, gesund-behindert, alt-jung, sprachlich (deutsch) kompetent-sprachlich inkompetent, christlich-nicht christlich, integriert-nicht integriert usw. geht.
Daher ist es wichtig, dass alle Bezugspersonen von Heranwachsenden – so auch Medienpädagog_innen – sich ihrer Vorurteile, die sie durch ihre Sozialisierung und ihre Erfahrungen gelernt haben, bewusst werden und versuchen, sie Stück für Stück wieder zu verlernen, denn Kinder- und Jugendgruppen sind ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Voraussetzungen, Lebenseinstellungen und Familienkulturen zusammen kommen. Alle Heranwachsenden haben ein Anrecht darauf, dazuzugehören. Sie alle haben Fähigkeiten, die sie besonders machen und die sie in die Gestaltung des Zusammenlebens und in die Bewältigung von Problemen einbringen können. Außerdem sind Kinder- und Jugendgruppen auch Lernorte für den Umgang mit Vielfalt. Hier können alle Beteiligten den Umgang mit Neuem und Ungewohntem lernen und positive Erfahrungen im Zusammenwirken unterschiedlicher Personen machen.
Für einen selbstverständlichen und positiven Umgang mit Vielfalt ist es aber auch notwendig, ausgrenzende und segregierende Strukturen zu verändern. In diesem Punkt steht die Gesellschaft noch am Anfang. Immer wieder werden bestimmte „Problemgruppen“ identifiziert, z.B. verschiedene Gruppen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, arme Kinder, Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit Lernbehinderungen, u.a.. Diese werden – wenn die Strukturen es zulassen – auf bestimmte Plätze (Schulen, Stadtteile, soziale Möglichkeiten) verwiesen.
Wie kann man (eigenen) Vorurteilen in der Arbeit mit Heranwachsenden und deren Familien begegnen?
Die Fachstelle für interkulturelle Bildung und Beratung – FiBB e.V. in Bonn ist ein Träger der freien Jugendhilfe, der seit 2009 vorurteilsbewusste Programme zur Förderung der Erziehungszusammenarbeit, Elternbildung und Mehrsprachigkeit mit unterschiedlichen Zielgruppen konzipiert und umsetzt. FiBB e.V. arbeitet nach dem Anti-Bias-Ansatz. Anti-Bias kann im Deutschen mit „gegen Voreingenommenheit“ oder „vorurteilsbewusst“ übersetzt werden. Ursprünglich wurde der pädagogische Ansatz von Louise Derman-Sparks in den USA entwickelt und in Südafrika und später auch in Deutschland weiter entwickelt. Anti-Bias ist ein Ansatz der Anti-Diskriminierungsarbeit.
Im Rahmen meiner Arbeit bei FiBB e.V. wurden die medienpädagogischen Programme „MedienFit“, „InternetFit“, „FacebookFit“ für Eltern mit Kindern in verschiedenen Altersstufen und das Programm „In unseren Sprachen lesen“ für Kinder im Elementar- und Grundschulbereich entwickelt und in vielen Einrichtungen umgesetzt.
Wie vorurteilsbewusste (medien-)pädagogische Arbeit umgesetzt werden kann, möchte ich hier am Beispiel des Programms „MedienFit-SprachFit“ darstellen:
Die teilnehmenden Eltern werden mit ihren Familienkulturen und in ihren Individualitäten anerkannt; zugleich werden vermeintliche „Normalitäten“ in Bezug auf Sprache, Aussehen, Familienleben, Werte und Lebensgestaltung hinterfragt. So werden Fernseh- und Radioprogramme in verschiedenen Sprachen thematisiert, das Thema Hörwahrnehmung und Sprachenförderung wird besonders hervorgehoben und unterschiedliche erzieherische Methoden zur Eingrenzung des passiven Medienkonsums besprochen und ausprobiert. Die Familien werden über Medien, ihre Möglichkeiten und Auswirkungen informiert, ohne ihre jeweilige Familienkultur oder ihren Umgang mit Medien zu kritisieren. Das bereitgestellte Material wurde bisher in sechs hier vor Ort häufig gesprochenen Sprachen übersetzt, damit möglichst viele Eltern bei Interesse teilnehmen können. Die Sprache und Ausdrucksweise in den Materialien ist dabei möglichst einfach gestaltet. Auch Eltern, die nicht lesen und schreiben können, werden einbezogen. Die Gruppenleiterin erläutert alle Inhalte und Themen mündlich, sie zeigt praktisch, worum es geht und stellt sicher, dass es genügend Zeit für Übersetzungen in den sprachheterogenen Gruppen gibt. Die Elterngruppen finden möglichst dort statt, wo sich die Eltern ohnehin häufig aufhalten, d.h. in Schule, OGS oder KiTa. Die Gruppe muss für jede_n erreichbar sein.
Quelle: Eigenes Foto aus dem Buch „Du gehörst dazu – Das Große Buch der Familien“ v. M.Hoffman & R. Asquit , Patmos 2010
Außerdem haben die teilnehmenden Eltern und ihre Kinder die Möglichkeit, kostenlos mehrsprachige Bücher auszuleihen. So können alle Familien gute Kinderbücher in ihren Familiensprachen lesen, unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen.
Die Bücher der FiBBliothek sind ebenso nach dem vorurteilsbewussten Ansatz ausgewählt. Wir achten darauf, dass in den Büchern
- jedes Kind Identifikationsmöglichkeiten findet,
- die Welt in ihrer Vielfalt dargestellt wird, so dass die Vielfalt unserer Lebensweisen (Aussehen, Familienkulturen, Sprachen, Religionen, Alter, Geschlecht, körperliche / geistige Verfassung etc.) sichtbar ist,
- und gezeigt wird, dass diese Vielfalt alltäglich und normal ist, Menschen in ihrer Verschiedenheit gleichwertig sind und jede_r selbstverständlich Respekt erfahren, sich dazugehörig fühlen und in Würde leben kann.
Praktische vorurteilsbewusste Arbeit bedeutet also die eigene Haltung immer wieder zu reflektieren, Schwellen zu erkennen und zu beseitigen, sodass jede_r an gesellschaftlichen Angeboten teilnehmen kann. Und es bedeutet, Materialien zu nutzen, die alle ebenbürtig einbeziehen.
Ein solcher Ansatz benötigt nicht unbedingt mehr Ressourcen, sondern den Willen, diesen Weg umzusetzen.
Infos
FIBB e. V. verleiht gerne an Bildungsinstitutionen vorurteilsbewusste Bücherpakete zu unterschiedlichen Themen. Weitere Infos siehe Flyer:
Angebote der FIBBibliothek (Flyer als PDF, nicht barrierefrei)
Kontakt
- Mona Kheir El Din
- FiBB e.V.
- www.kheireldin.de
- www.fibb-ev.de
Alle Bilder: © FIBB e. V.