Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung und Unterstützter Kommunikation (UK). Von Sabrina Schultheis
Die Kommunikations- und Theaterpädagogin Sabrina Schultheis führt Theaterkurse mit Menschen mit und ohne Behinderung durch. Wie sie dabei Unterstützte Kommunikation einsetzt, darüber berichtet sie in diesem Beitrag. Unterstützte Kommunikation (UK) bezeichnet technische und nicht-technische Hilfen, z. B. einfache und komplexe elektronische Kommunikationshilfen („Talker“), Piktorgramme und Symbole, aber auch Gebärden und körpereigene Ausdrucksformen. So können Menschen ohne aktive Lautsprache kommunizieren, Informationen verstehen und sich einbringen. Hier gibt es einführende Informationen zum Thema Sprachbehinderung und UK. Anette Pola zeigt in einem weiteren Beitrag, dass nicht nur Theater- sondern auch Radioarbeit mit unterstützt kommunizierenden Menschen möglich ist.
„Eigenartig, wie das Wort „eigenartig“ es als fremdartig hinstellt, eine eigene Art zu haben!“ (E. Fried)
Frei nach diesem Motto gibt es in Gummersbach und Umgebung mehrere Schauspielkurse, die entweder explizit für Menschen mit Behinderung oder aber „andersrum“ inklusiv sind. Diese Kurse haben über die Jahre fünf Theaterstücke und einige andere Projekte auf die Bühne gebracht, sie funktionieren, sind als Gesamtbild Leistungsträger und bringen Werke auf die Bühne, die das Publikum sich gern anschaut. Hier spielen Senioren mit Mitt-Zwanzigern, Frauen mit Männern, Kinder mit Erwachsenen. Menschen mit Down-Syndrom neben Menschen im Rollstuhl, neben Menschen, die der Lautsprache nicht mächtig sind.
EigenArt: Ein Schauspielkurs für Erwachsene
Worin besteht die Einzigartigkeit des Kurses?
Worin besteht der große Unterschied zwischen diesem Kurs und den Theater-AGs, die in Wohnheimen oder Werkstätten stattfinden? Die Antwort ist ganz einfach: Dieser Kurs ist öffentlich, was zur Folge hat, dass hier Menschen aus unterschiedlichen Institutionen zusammenkommen, so dass die Darsteller nicht die immer gleichen Menschen in ihrem Umfeld sehen, aber auch, dass das Publikum öffentlich ist. Es kommen nicht nur Familie und Betreuer, sondern jeder, der sich für das Stück/ das Thema interessiert.
Dies klingt nach einer Kleinigkeit, aber ist doch für viele dieser Menschen ein enormer Sprung. „Inklusion“ ist in aller Munde, aber gerade Erwachsene mit (häufig geistigen) Behinderungen erleben nicht viel von diesem politischen Begriff in ihrem täglichen Leben. Die Darsteller dieses Kurses haben noch eine Förderschule erlebt, die mehr einer Aufbewahrungsstation denn einer Fördereinrichtung glich. Dementsprechend unterentwickelt sind häufig ihre Fähigkeiten, nicht, weil sie nicht könnten, sondern einfach, weil sie nie gelernt haben, wie.
Wie „funktioniert“ dieser Kurs?
Jede Woche treffen sich die Darsteller – an einem öffentlichen Ort. Sie suchen sich ein Stück oder ein Thema aus, das sie gerne spielen würden. Gemeinsam wird dieses Stück erarbeitet. In jeder Woche wird großer Wert darauf gelegt, dass alle Darsteller in gleichem Maße teilnehmen können. So nutzen wir in Spielen häufig Piktogramme oder einfache, manchmal sogar komplexe elektronische Kommunikationshilfen, die die Leitung besitzt und immer zur Verfügung stellt. Natürlich wäre es viel besser, wenn jeder nichtsprechende Darsteller mit einer Kommunikationshilfe versorgt wäre, aber gerade bei Erwachsenen ist das nur selten der Fall. Die Darsteller sind aber sehr interessiert an dieser Technik und in der Lage, diese schnell sinnig einzusetzen.
Manchmal nutzen sie gerade einfache elektronische Kommunikationshilfen ein wenig zielverfremdet. Sie werden nicht nur zur Kommunikation genutzt, sondern auch zum Textlernen. So kann sich jeder etwas auf seine Talker sprechen und immer wieder anhören. Oder aber er kann Dialoge üben, indem die Sätze des Gegenübers auf solchen sprechenden Tasten sind. Dies ist wieder ein Schritt, den die Darsteller bisher nur selten gegangen sind, denn es ist ein Schritt Richtung Selbstständigkeit.
Das gesamte Theaterstück wird mit Gebärden einstudiert. Warum?
Während des Sprechens auch noch diese motorische Leistung zu vollbringen, hilft dem Hirn, den Text besser abzuspeichern. Außerdem kann so eine Souffleuse während der Aufführung stumm „vorsagen“.
Was ist besonders schwierig an dieser Gruppe?
Man muss sich Zeit lassen können! Wirklich viel Zeit! Viele Schauspielübungen werden vor allen Dingen für den Anfang vereinfacht. Wenn man als Leitung irgendwann das Gefühl hat „jetzt wird es aber langweilig!“, dann kommt der Moment, wo auch beim letzten Darsteller der sprichwörtliche Groschen fällt und alle Spaß daran haben. Man muss alles gefühlt zwanzigmal so häufig machen, wie in den meisten anderen Kursen. Aber wenn man sich traut, ruhig und langsam an die Sache heranzugehen, dann werden das wöchentlich vielleicht die schönsten, lustigsten, erfahrungsreichsten und liebenswürdigsten 90 Minuten – sowohl für die Leitung als auch für die Darsteller.
Glückspilzfabrik: Ein Schauspielkurs für Jugendliche, inklusiv „andersrum“
Worin besteht die Einzigartigkeit dieses Kurses?
Wie der oben erwähnte Kurs ist auch dieser immer an öffentlichen Institutionen und macht öffentliche Aufführungen. Dieser Kurs ist in erster Linie für Jugendliche mit Behinderung angelegt, aber immer auch darauf bedacht, dass nichtbehinderte Menschen teilnehmen. Glücklicherweise gelingt dies von Beginn an. Im nächsten Projekt zum Beispiel spielen fünf Erwachsene ohne Behinderung, drei Erwachsene mit Behinderung, drei Jugendliche ohne Behinderung und fünf Jugendliche mit Behinderung gemeinsam „Hilfe! Die Herdmanns kommen!“. Der Schwerpunkt liegt dabei immer darauf, dass die Menschen mit Behinderung ihre Förderung erhalten, um auf der Bühne brillieren zu können. Vor allem in diesem Kurs, in dem die Fähigkeiten so breit gefächert sind, ist die gegenseitige Hilfe etabliert, so dass die Leitung sich in erster Linie wirklich darauf konzentrieren kann, das Ensemble auf das Stück vorzubereiten.
Wie „funktioniert“ dieser Kurs?
In diesem Kurs sind einige Menschen, die besondere persönliche Bedürfnisse haben. Ein junger Mann kommuniziert ausschließlich über eine komplexe Kommunikationshilfe, ist dabei auf „gestützte Kommunikation“ angewiesen, also darauf, dass ihn jemand bei dieser Kommunikation stützt. Er benötigt also zu jeder Zeit eine Person an seiner Seite, die ihn bei der Kommunikation (unter-)stützt. Unser Schauspielkurs ist – so weit bekannt ist-, die einzige Institution, in der er ohne individuelle Hilfe auskommt. Warum? Weil die Darsteller sich gegenseitig unterstützen. Er ist in der Lage, sich seine Hilfe selbst auszusuchen und weiß, wer ihm am besten helfen kann.
Gleiches gilt für die Rollstuhlnutzer. Der Kurs probt in einer öffentlichen Institution, so dass immer rollstuhlgerechte Toiletten zur Verfügung stehen, leider wird dieser Weg vom Probenraum aus von schweren Feuerschutztüren unterbrochen, die die Rollstuhlnutzer nicht selbstständig öffnen können. Auch hier helfen die Darsteller sich gegenseitig, indem sie sich gegenseitig auf dem Weg zur Toilette zu begleiten. Das Wichtigste ist: All das ist selbstverständlich! Jeder sucht sich die Menge seiner Hilfe selber aus und auch denjenigen, der ihm helfen soll und jeder ist gewillt, Hilfe zu bieten.
Was ist besonders schwierig an dieser Gruppe?
Ganz ehrlich? Nichts! Diese Gruppe besteht in wechselnder Konstellation seit fünf Jahren und seitdem freuen sich alle wöchentlich darauf. Nein, wollen wir ehrlich sein: Der Beginn war etwas schleppend, man muss sich erst kennen lernen, muss wissen, wie der Gegenüber tickt – aber in welcher neune Gruppe ist das nicht der Fall?
Im Gegensatz zur anderen Gruppe ist diese sehr aktiv und wissbegierig, man muss ihr immer was bieten. Man muss immer gut vorbereitet sein, dabei aber die Offenheit besitzen, spontan alles über den Haufen zu werfen.
Zusammenfassung
Was muss man als Leitung können?
Wichtig ist es, dass man immer man selbst bleibt, dass man sich nicht verbiegt, um es jemandem Recht zu machen, dass man seine eigenen Werte nie verliert, dass man gewillt ist, dazuzulernen, dass man weiß, dass alle Menschen in einer Gruppe die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten haben – unabhängig vom Grad der Behinderung. Am Wichtigsten ist es, dass man nie den Spaß daran verliert!
Zusammenfassend kann man sagen, dass man sich in Bezug auf inklusive Theaterarbeit, auf Nutzung von elektronischen Kommunikationshilfen und auf das Einstudieren eines Theaterstücks generell viele Fragen ergeben, dass diese Fragen aber, wenn man dem Gesamtthema gewogen ist, meistens sehr einfache Antworten mit sich bringen. Es gibt zurzeit viel zu wenig solcher Kurse, manche sind nur projektbezogen, andere sind immer an heilpädagogische Einrichtungen gebunden, freie, öffentliche, fortlaufende Kurse wie oben erwähnte gibt es kaum! Das muss sich ändern!
Die Autorin
Sabrina Schultheis (Kommunikations- und Theaterpädagogin, heilpädagogische Ausbildung, im Referendariat an einer Förderschule) ist seit vielen Jahren als Theaterpädagogin und Regisseurin, auch – aber nicht nur – explizit für Menschen mit Behinderung tätig. Die Stücke wurden mehrfach von der Aktion Mensch gefördert. Sie ist Autorin einiger Theaterstücke (darunter „einfach LEBEN“, „Verdächtige“ u.v.m) und des Buches „Praxisbuch: Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung“, dieses gibt noch mehr Tipps und Hinweise.